Zweyer, Jan - Rainer
muss ich mit aller Entschiedenheit…«
»Lassen Sie nur, Frau Schlüter.« Lorsow stand auf und ging zu seinem Schreibtisch, öffnete eine Schublade und holte ein Schlüsselbund heraus, das er Brischinsky zeigte. »Hier. Das sind die Schlüssel.«
»Existieren weitere Schlüssel für den Wagen?«
»Nein. Nur die hier.«
»Waren immer beide Schlüssel am Bund?«, fragte der Hauptkommissar weiter.
»Natürlich nicht. Einen hat Frau Müller aufbewahrt. Es ist vorgekommen, dass ich meinen Schlüssel verlegt habe. Dann hat sie mir mit dem Ersatzschlüssel ausgeholfen. Sie hat das Exemplar, das bei mir im Schreibtisch lag, erst gestern an diesem Schlüsselbund befestigt. Der Wagen ist ja gestohlen worden.«
Brischinsky stand auf und Baumann folgte seinem Beispiel.
»Tja, Herr Lorsow. Ich glaube, ich hätte keine weiteren Fragen. Oder eine noch: Kannten Sie Herrn Pawlitsch?«
»Wen?«
»Georg Pawlitsch. Das Unfallopfer.«
»Herr Hauptkommissar, was soll das?« Rechtsanwältin Schlüter erhob sich ebenfalls. »Wie kommen Sie auf den Gedanken, dass Herr Doktor Lorsow Herrn Pawlitsch gekannt hat?« Sie zitterte leicht.
Lorsow und Derwill standen nun auch auf. Lorsow legte seine Hand beruhigend auf den Arm der Anwältin. Er blinzelte wieder. Baumann musste sich zwingen, seinen Blick von diesem ständigen Zucken abzuwenden, das eine eigentümliche Faszination auf ihn ausübte.
»Nein, Herr Hauptkommissar. Ich habe Herrn Pawlitsch nie in meinem Leben gesehen. Reicht Ihnen das als Antwort?«
Brischinsky nickte stumm.
Die Beamten verabschiedeten sich, stiegen in ihr Auto und fuhren am devot grüßenden Pförtner vorbei.
Nach fünf Minuten brach Brischinsky das Schweigen. »Hat der diese nervösen Zuckungen wohl immer? Oder war das eine Reaktion auf unseren Besuch?«
10
Am Samstag entdeckte Esch die Todesanzeige der Familie Pawlitsch in der Zeitung. Plötzlich und unerwartet stand da.
Durch ein tragisches Unglück aus dem Leben gerissen. Die Beerdigung Georg Pawlitschs sollte am Montag auf dem Friedhof in Herne-Holthausen an der Friedhofstraße stattfinden.
Der Anwalt geriet ins Grübeln. Nach dem missglückten Telefonat mit der Angehörigen des Toten war sich Rainer unschlüssig gewesen, ob er noch einen Versuch wagen sollte, mit der Familie Kontakt aufzunehmen. Die Möglichkeit eines Kondolenzbesuchs hatte ihn einige Stunden beschäftigt, bis er diesen Gedanken wieder verwarf. Worüber sollte er mit der Familie reden? Über Pawlitschs beiläufig geäußerten Gedanken, dass ihm etwas passieren könnte? Altere Menschen sprechen häufiger über Krankheiten, Unfälle und Tod, auch ohne dass es für ihre Befürchtungen konkrete Anlässe gibt.
Oder über Pawlitschs Interesse an presserechtlichen Problemen? Die Angehörigen dürften andere Sorgen haben.
Und auch die unterschriebene Blankovollmacht war möglicherweise nicht mehr als ein spontaner Einfall. Nein, ein Besuch kam nicht in Frage.
Trotzdem blieb seine Unruhe, die durch die Lektüre der Todesanzeige neue Nahrung fand. Wenn er nun einfach zur Beisetzung…?
Wenn sich dort eine Gelegenheit ergeben würde, mit den Angehörigen zu sprechen – gut. Wenn nicht, konnte er jederzeit ohne größeres Aufsehen gehen und Brischinskys Rat folgen, die ganze Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen.
So stand Rainer Esch am Montag gegen elf Uhr fröstelnd im Nieselregen vor der Kapelle und wartete, bis der Trauergottesdienst beendet war. In letzter Minute war ihm noch eingefallen, einen Blumenstrauß zu besorgen. Die zehn Minuten, die er im Blumenladen verbracht hatte, kam Rainer dann zu spät. Die Trauerfeier hatte bereits begonnen und die Türen der Kapelle waren geschlossen. Da ihm der Mut fehlte, die Andacht zu stören, wartete er lieber draußen.
Den dunklen Anzug, den er trug, hatte sich Rainer aus Anlass seines zweiten Staatsexamens, das mittlerweile schon fast zwei Jahre zurücklag, zugelegt. Der Hosenbund spannte ein wenig und er musste beim Zuknöpfen den Bauch einziehen; ein untrügliches Indiz dafür, dass zumindest diese Stelle seines Körpers der damaligen Konfektionsgröße etwas entwachsen war. Esch führte das auf seine Vorlieben für griechisches Essen bei Neokyma, Pfälzer Riesling und spanischen Brandy zurück. Den schwarzen Trench hatte er nach längerem Suchen in einem alten Koffer entdeckt, verknittert und verstaubt. Die Knitterfalten hatte das Bügeleisen beseitigt, den Staub die Kleiderbürste, nur der ziemlich unmoderne Schnitt
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