Zweyer, Jan - Rainer
Verkäufern zu begleiten. Die Unterhaltung verlief nicht ganz so, wie er es sich erhofft hatte. Seine Freundin machte ihm sehr lieb, aber unmissverständlich klar, dass sie sich erstens im Urlaub befände und sie zweitens die Geschäfte dieses Bochumer Immobilienloddels – sie sagte wirklich: Immobilienloddels – ungefähr so viel interessierten wie der berühmte Sack Reis, der in China umzufallen drohte.
Außerdem habe sie bereits einen Termin in der Bio-Sauna des Hotels vereinbart, den sie selbstverständlich wahrzunehmen gedächte. Rainers vorsichtigen Hinweis auf das Vertragswerk, das schließlich Marian Dezcweratsky und die Anwaltssozietät Schlüter und Esch in gewisser Weise aneinander binden würde, konterte sie mit der Frage, wer denn diesen dämlichen Vertrag eigentlich unterschrieben hätte. Und den letzten Versuch ihres Freundes, sie mit einem schönen Spaziergang in frischer Luft mit anschließendem Mittagessen zu ködern, beantwortete sie mit ihrem schallenden Lachen, das Rainer so liebte.
»Nee, mein Schatz. Du hast mich mit dem Verweis auf ein paar erholsame Tage auf diese schöne Insel gelockt, jetzt darfst du auch nicht sauer sein, wenn ich tatsächlich ausspannen möchte.« Sie drückte ihm einen Kuss auf die Backe und verschwand im Badezimmer. »Ruf mich an, wenn du fertig bist«, hörte er noch, bevor die Tür ins Schloss fiel.
Vier Stunden später stand er frierend im Eingangsbereich des Rathauses und leckte seine Wunden.
Dezcweratsky hatte ihm Namen und Adressen von vierzehn Eigentümern zukommen lassen, an deren Grundstücken er interessiert war. Vier von ihnen wohnten im Loog, die hatte Rainer zuerst aufgesucht.
Auf dem Weg dorthin passierte das erste Missgeschick: Esch hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, dass es auf Juist keinen Autoverkehr gab, und er verließ sich darauf, dass ihn das Klappern der Pferdehufe auf den Ziegelstraßen rechtzeitig warnen würde, wenn sich ein Fuhrwerk näherte. Also überquerte er die Straße ohne den sonst üblichen sichernden Blick. Das schrille Kreischen einer Fahrradklingel, ein Stechen in seiner rechten Seite und ein Schlag, der ihn zu Boden warf, erinnerte ihn unvermittelt und schmerzhaft daran, dass es noch andere Fortbewegungsmöglichkeiten gab.
Der Fahrradfahrer stammte aus dem südlichsten Bundesland und überschüttete ihn mit Vorwürfen, die, in ausgeprägtem ober-oder niederbayerischen Dialekt vorgetragen, für Rainer unverständlich blieben. Er stammelte eine Entschuldigung und half dem Mann, den Inhalt der Einkaufstüte, der sich auf dem Pflaster verteilt hatte, wieder einzusammeln. Die Brötchen allerdings, die sich unter die Hinterlassenschaften eines Kaltblüterhinterns gemischt hatten, musste Rainer dem immer lauter schimpfenden Mann wohl oder übel ersetzen.
Zu allem Überfluss fing es wieder an zu schneien. Der Anwalt kämpfte sich am Deich entlang gegen den immer stärker werdenden Wind die fast drei Kilometer zum Loog vorwärts, nur um dann festzustellen, dass von den vier Eigentümern keiner zu Hause war.
Nachdem er in einem Fall den Klingelknopf einige Minuten malträtiert hatte, teilte ihm eine zufällig vorbeikommende Nachbarin mit, dass sich die Familie im Ruhrgebiet befände und erst nach dem Jahreswechsel zurückkäme. Esch war begeistert. Er stapfte im hohen Norden durch Schnee und Wind und diese Leute machten Urlaub in seiner Heimat. Einfach großartig.
Sein fünfter Verkaufskandidat hieß Schneider, wohnte in der Nähe des Kurhauses und war tatsächlich daheim. Das Gespräch verlief bis kurz nach der gegenseitigen Begrüßung recht zufriedenstellend, wenn Esch davon absah, dass er im Schneetreiben vor der Tür, der potenzielle Verkäufer im Flur im Trockenen stand und nicht’ daran dachte, ihn hineinzubitten. Die Unterhaltung wurde etwas frostiger, nachdem der Jurist auf Grundstücke im Allgemeinen und Schneiders Flurstück im Besonderen zu sprechen kam. Der Smalltalk endete abrupt, als der Herner Anwalt zum ersten Mal das Wort Verkauf in den Mund nahm und er nur noch vor eine zugeschlagene Tür guckte.
Esch hatte die Nase gestrichen voll. Wütend und frustriert blätterte er in Dezcweratskys Papieren. Er überlegte, seinem Auftraggeber die Brocken vor die Füße zu schmeißen. Dann aber entschloss er sich, noch einen Versuch zu unternehmen.
Er verglich die Adressenliste mit dem Stadtplan von Juist und entschied sich für Peter Hanssen, der nur wenige Schritte vom Rathaus entfernt wohnte.
Im Erdgeschoss
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