Zweyer, Jan - Rainer
übersehen? Möglicherweise war sie unter den Sessel oder den Tisch gerutscht. Oder lag neben dem Toten zwischen den Polstern versteckt. Aber warum sollte sich Schwiebus umgebracht haben? Wegen der paar Gramm Koks? Oder war er tatsächlich der Mörder von Marlies Wübber? Dann hätte aber auch Wübber…
Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Rainer beschloss, sich nicht in Vermutungen zu verlieren, sondern sich systematisch auf das zu konzentrieren, was er gesehen und was sich in den letzten Tagen ereignet hatte. Die Kriminalpolizisten würden sich für seine Geschichte brennend interessieren, das war ihm klar.
Drei Stunden später betraten die beiden Kripobeamten wieder das Büro an der Carl-Stegmann-Straße. Müller informierte im Nebenzimmer Altehuus kurz über das Ergebnis der Ermittlungen und Buhlen wartete schweigend bei Rainer, der sich nervös seine vorletzte Reval in den Mund steckte. Nach einigen Minuten kehrten die beiden anderen Polizisten in den Wachraum zurück und setzten sich ebenfalls. Altehuus zauberte ein Tonbandgerät aus seinem Schreibtisch hervor und baute das Mikro vor Rainer auf. Dessen Magen rebellierte. Er hatte das Gefühl, jemand mache aus seinen Innereien Hackfleisch. Er zwang sich dazu, das Stechen zu ignorieren.
Müller drückte die Aufnahmetaste. »So, jetzt erzählen Sie.«
Und Rainer erzählte: von dem Mandat Dezcweratskys, seinem Auftrag auf Juist und den Kontakten zu Schwiebus.
Der Anwalt stellte klar, wann er den Makler kennen gelernt hatte und wann dieser auf die Insel gekommen war. Und er informierte die Polizisten noch einmal über Schwiebus’
Ängste, wegen Drogenbesitzes angeklagt zu werden, und gab zu, den Beamten Schwiebus’ Anschrift verschwiegen zu haben. Dann berichtete er über die Bürgerversammlung und das Zusammentreffen mit Wübber und Steiner. Schließlich schilderte er minutiös, wie er Schwiebus’ Leiche gefunden hatte. Rainer schloss mit den Worten: »Aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wer ihn umgebracht haben könnte.«
»Wo waren Sie heute Vormittag?«, wollte Buhlen wissen.
»Wurde zu dieser Zeit Schwiebus ermordet?«, erkundigte sich Rainer neugierig.
»Beantworten Sie bitte meine Frage.«
Der Anwalt seufzte. »Ich war mit meiner Freundin am Strand spazieren. Anschließend haben wir im Lütje Teehuus noch etwas getrunken.«
»Wann war das genau?«
»Also wurde Schwiebus heute Morgen umgebracht, nicht wahr?«
»Mein Gott, ja. Noch einmal: Wann waren Sie mit Ihrer Freundin in dem Café?«
»Das weiß ich nicht genau. So gegen halb zwölf, vielleicht war es auch etwas später.«
Die Polizisten stellten noch einige Fragen, die Rainer wahrheitsgemäß beantwortete. Dann schaltete Buhlen das Gerät aus. »Okay. Sie können gehen. Aber halten Sie sich zu unserer Verfügung. Sie bleiben auf Juist, ist das klar?«
Esch nickte und griff seine Jacke.
Als der Anwalt den Wachraum verlassen hatte, blickte Buhlen auf seine Kollegen. »Na?«, fragte er fordernd.
»Ich glaube ihm«, antwortete Günter Müller. »Außerdem hat er kein Motiv.«
»Zumindest keines, das wir kennen«, schränkte Dieter Buhlen ein. »Und Sie?« Er sah zu Altehuus herüber.
»Der Junge war es nicht«, stellte dieser schlicht fest. »Wir müssen einen anderen Mörder suchen.«
»Was ist mit Wübber?« Buhlen kaute auf seinem Zeigefinger herum. »Der hätte ein Motiv.«
»Möglich. Aber auch dieser Schweizer, wie heißt der gleich…« Müller sah fragend in die Runde.
»Favre.« Altehuus griff zum Schnupftabak.
»Nie im Leben. Der Kerl ist hinter dem Erbe her, sonst nichts. Marlies Wübber ist, nein, war dem völlig egal, darauf verwette ich mein letztes Hemd.« Buhlen beobachtete voller Skepsis, wie Enno Altehuus den dunkelbraunen Tabak auf seinem rechten Handrücken aufschichtete und zur Nase führte.
Vorsichtshalber rückte der Kommissar seinen Stuhl etwas beiseite, um den Abstand zum Juister Polizisten zu vergrößern.
»Wübber war doch heiß auf Grundstücke, oder? Und Schwiebus hat wie Esch für diesen Bochumer Immobilienfuzzi gearbeitet, diesen Dezcweratsky, der ebenfalls Boden auf der Insel kaufen will. Die beiden sind also Konkurrenten.«
»Und deshalb glaubst du…«
Eine Niesfanfare unterbrach das Gespräch. Müller wich unwillkürlich zurück und entging so dem Feuchtigkeitsnebel, den Altehuus trotz Taschentuchs verbreitete.
»… Wübber könnte der Täter sein?«
»Warum nicht? Wir sollten ihn fragen.«
»Wann, jetzt?« Müller sah
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