Zweyer, Jan - Rainer
hinter der er das Wohnzimmer vermutete. Auch aus diesem Raum schlug ihm Modergeruch entgegen. Er hielt für einen Moment die Luft an und betrat den Raum.
Das Erste, was er im Halbdunkel erkennen konnte, war die beleuchtete Senderanzeige eines Standradios auf einem Regalboden links neben ihm. Jemand hatte lediglich den Ton abgedreht, das Gerät aber nicht ausgeschaltet. Zwei Meter von Rainer entfernt befand sich eine Sitzgruppe, bestehend aus einem breiten Sofa und einem wuchtigen Fernsehsessel, der mit seiner Rückseite zu ihm stand. Der Anwalt konnte einen Teil des Glastisches erkennen, auf dem ein aufgeschlagener Aktenordner lag. Gläser und eine Flasche befanden sich auf dem Tisch. Neugierig trat er näher an die Sitzgruppe heran und zuckte zusammen: In dem Drehsessel saß Karl-Heinz Schwiebus.
Eigentlich saß er nicht richtig, sondern war in sich zusammengesunken und so heruntergerutscht, dass ihn die Rückenlehne verdeckte. Deshalb hatte ihn der Anwalt von der Tür aus nicht sehen können. Rainer stieß ihn sanft in die Seite:
»Hallo, Herr Schwiebus?«
Der Mann antwortete nicht. Esch drehte den Sessel etwas zu sich. Dann sah er das Loch in Schwiebus’ linker Stirnseite und die eingetrocknete Blutspur, die über Gesicht und Kragen bis zur Schulter lief. Die Augen waren weit aufgerissen, der Mund geöffnet. Die rechte Hand lag auf der Lehne des Sessels und war zur Faust geballt. Der linke Arm hing schlaff an der Seite herunter.
Für einen Moment packte Rainer kalte Angst. Panisch dachte er daran, einfach wegzulaufen. Doch er war wie erstarrt. Dann atmete er tief durch, zwang sich zur Ruhe. Er kramte in seiner Jackentasche, fand die Revalpackung und steckte sich eine an.
Tief sog er den Rauch ein. Polizei, war sein nächster Gedanke.
Er musste die Polizei verständigen! Aber machte er sich nicht selbst N verdächtig? Seine Hand zitterte, als er die Zigarette zum Mund führte. Er würde zunächst mit Elke sprechen. Sie würde – vermutlich – eine Lösung finden. Etwas beruhigter ließ er den Rauch durch die Nase wieder ausströmen.
Er trat näher an den Tisch heran. Es sah so aus, als ob Schwiebus Besuch gehabt hatte. Unmittelbar vor dem Toten stand ein halb volles Whiskeyglas mit einer braunen Flüssigkeit, daneben eine fast leere Flasche. Rainer warf einen Blick auf das Etikett: Johnny Walker. Nicht sein Ding. Auch auf der Sofaseite des Tisches stand ein Glas. Es war leer.
Zögernd beugte Rainer sich über den Tisch, um den Inhalt des Ordners einer Inspektion zu unterziehen. Vor ihm lag ein Vertragsentwurf. Er überflog den Text. Es ging um den Golfplatz, eine Immobilienverwertungsgesellschaft namens JuistBoden GmbH und die Verteilung von Gesellschaftsanteilen. Leider wurden auf der Seite, die offen vor ihm lag, keine Namen genannt, sondern nur Abkürzungen: Der Gesellschafter A hält neunundvierzig Prozent, der Gesellschafter B einundfünfzig. Nicht sehr ergiebig. Rainer widerstand der Versuchung, zurückzublättern. Die Polizei würde seine Fingerabdrücke finden und er hatte schon genug zu erklären.
Verstohlen wandte sich der Anwalt um. Er hatte das gruselige Gefühl, dass Schwiebus ihn beobachtete. Es war Zeit, dass er hier verschwand. Und zwar schnell.
Esch streifte mit zitternden Händen die Asche seiner Reval im Aschenbecher ab, in dem schon Kippen mit und ohne Filter lagen.
»Warum hast du Idiot der Polizei nicht gesagt, dass du weißt, wo sich Schwiebus aufgehalten hat?« Elke lief unruhig in ihrem Hotelzimmer auf und ab. »Zwölf Semester Jura und du weißt immer noch nicht…«
»Dreiundzwanzig Semester«, korrigierte Rainer.
»Umso schlimmer. Dir ist wirklich nicht zu helfen. Du musst sofort die Polizei informieren.«
»Und was sage ich denen?«
»Am besten die Wahrheit.«
Rainer steckte sich nervös schon die dritte Zigarette an. »Was meinst du, habe ich mich in irgendeinem Punkt strafbar gemacht?«
Elke dachte nach. »Ach was! Du bist Anwalt und Schwiebus war dein Mandant. Obwohl, besonders intelligent hast du dich nicht gerade verhalten. Aber beruhige dich: Du musstest der Polizei seinen Aufenthalt nicht nennen, auch wenn du ihn kanntest.«
»Ich kannte ihn nicht genau.«
»Genau genug, um ihn zu finden. Und wenn du ihn finden konntest, hätte das die Polizei erst recht gekonnt.«
»Aber außer dir weiß das doch niemand.«
»Was weiß niemand?«
»Dass mir Schwiebus gesagt hat, wo ich ihn erreichen kann.
Er kann mich ja schließlich erst heute angerufen
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