Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
geplanten Urlaub und an seine ohnehin schon beschädigte Beziehungskiste, nahm einen tiefen Schluck und zündete sich eine Reval an.
»Ihr beide seid zwar wirklich total bescheuert, aber wenn ich nicht auf euch aufpasse, macht ihr wirklich noch irgendeinen Blödsinn. Also gut. Unter folgenden Bedingungen. Erstens gehe ich morgen zu den Bullen und erzähle, was wir wissen.
Zweitens wird unser Urlaub deshalb nicht verschoben. Und drittens, wir sind weder die Polizei noch eine Detektei. Und amerikanische Krimiserien«, er warf Stefanie einen, wie er meinte, strengen Blick zu, »bleiben Kintopp. Sind keine Realität. Was im übrigen«, ergänzte er, »auch für die Romane gilt, die du dir beliebst reinzuziehen. Wir hören uns also nur ein bißchen um. Sollte die Angelegenheit auch nur ansatzweise außer Kontrolle geraten, finito. Und zwar umgehend.
Einverstanden?«
»Einverstanden.« Ihr neuer Freund grinste.
»Danke, Rainer.« Stefanie schenkte ihm ein Lächeln.
»Ich werde mich in den nächsten Tagen mal auf dem Pütt umhören«, bekräftigte Kaya ihre Abmachung.
»Und du, mein Lieber, fährst so schnell wie möglich in die neuen Bundesländer. Nach Hoyerswerda. Da kannst du dann die theoretische Grenze in deinem Kopf gleich praktisch überwinden.«
»Das ist nicht dein Ernst, Stefanie.«
»Mein voller Ernst.«
Rainer atmete tief durch. Er war sich jetzt nicht mehr so sicher, ob seine Bereitschaft, Stefanies Kreuzzug gegen Take off zu unterstützen, nicht doch ein Fehler war. Andererseits war ein Ausflug in die ehemalige Teterä ein insgesamt recht geringer Preis, um seine Beziehung zu Stefanie für die nächste Zeit zu stabilisieren.
»Na gut. Aber bitte, laßt uns die Details nicht weiter in dieser Wohnung besprechen.« Er wollte raus aus dieser Bude. Das auch deshalb, weil die Veteranoflasche fast geleert war.
19
Esch verließ nach einem schnellen Seitenblick auf seine Deutschlandkarte die Autobahn A 13, die Dresden mit dem Berliner Ring verbindet, an der Anschlußstelle Ruhland. Er bog links auf einen Autobahnzubringer ein und durchquerte nach einigen Kilometern die Lausitzmetropolen Brieske-Ost und Brieske, um schließlich Senftenberg zu erreichen. Hier waren zahlreiche Starenkästen installiert, die auf zu schnell fahrende Kundschaft warteten. So konnte die marode Haushaltslage der gebeutelten ostdeutschen Kommunen aufgebessert werden.
Rainer ließ die wahrlich imposante Fußgängerzone der Bergarbeiterstadt rechts liegen und fuhr auf eine Kreuzung zu, deren Ampel ihn zum Halten aufforderte. Gelangweilt schaute er zur Seite und blickte genau auf ein augenscheinlich besetztes Haus, dessen Fassaden von Parolen übersät waren, die nicht nur den Staat und seine uniformierten Freunde und Helfer abgrundtief verdammten, sondern letzteren auch noch drohten, ihnen würden sowieso und unausweichlich ihre edelsten Teile abgeschnitten.
Vor dem Haus lagerten eine Handvoll Punks, die genau so aussahen, wie sich sicherlich brave Senftenberger Bürger Punks in ihren schlimmsten Alpträumen vorstellten.
Esch grinste in sich hinein und schwelgte einige Minuten in Erinnerungen an seine eigene, anarchosyndikalistische Vergangenheit. Das waren noch Zeiten, als seine Genossen und er in schwere ideologische Kämpfe mit den Dogmatikern von der KPD/ML über den korrekten Weg zur Weltrevolution verwickelt waren. Leider wollte die KPD/ML damals ums Verrecken nicht einsehen… Lautes Hupen schreckte ihn aus seinen Gedanken. Wild gestikulierend versuchte ein aufgeregter Trabbi-Fahrer, ihm klarzumachen, daß die Ampel viel grüner nun wirklich nicht mehr werden könnte und ihm die Weltrevolution zumindest in diesem Teil Deutschlands gründlich am Arsch vorbeiginge. Rainer machte eine beschwichtigende Handbewegung und fuhr zügig an, gerade noch rechtzeitig, um die Kreuzung bei Gelb zu passieren. Der Trabbi-Fahrer bremste abrupt und schickte Esch ein wütendes Aufblendlicht hinterher.
Kurz nachdem er die Häuser der Innenstadt hinter sich gelassen hatte, sah er rechts von sich einen See.
Rainer erinnerte sich, auf der Autobahn eines jener braunen Schilder gesehen zu haben, die den Vorbeifahrenden überall in Deutschland auf Sehenswürdigkeiten links und rechts der Strecke aufmerksam machen sollten. Sehenswürdigkeiten, die eigenartiger Weise in der Regel von der Autobahn nicht zu sehen waren. Dazu war üblicherweise die Benutzung der nächsten Abfahrt erforderlich, was die meisten der Reisenden mangels Interesse oder
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