Zweyer, Jan - Rainer Esch 02
jedem Luftzug einen Tanz aufführten. Die Schranktüren standen offen und der Inhalt des Möbels war ebenfalls auf dem Teppich verteilt. Die Vitrine mit den Eisenbahnmodellen war vollständig ausgeräumt. Die Aktenordner, die sich auf dem Schreibtisch befunden hatten, lagen geöffnet in einer Ecke des Raumes, die enthaltenen Papiere waren teilweise herausgerissen. Die Schubladen des Schreibtischs entdeckte Rainer unter den Polsterkissen. Die Regalböden waren heruntergefallen. Seine Kamera, die er gestern auf dem Tisch deponiert hatte, um die Batterie zu prüfen, war nicht mehr dort.
Fassungslos ging Esch in die Küche. Auch dieser Raum ähnelte einem Trümmergrundstück. Einige Teller waren zu Bruch gegangen, der Besteckkasten stand auf dem Tisch.
Mehl-, Zucker-und Salztüten waren geöffnet und ausgekippt worden. Der Kühlschrank stand offen und das Tauwasser hatte sich mit den verschütteten Lebensmittel zu einer klebrigen, weißen Masse verbunden, die Esch, wie er leider zu spät bemerkte, auf seinem grauen Teppichboden zusammen mit den Bettfedern in seiner Wohnung verteilte. Das Schlafzimmer befand sich in dem gleichen desolaten Zustand wie die anderen Räume.
Die Matratze seines Bettes lehnte halb vor dem Kleiderschrank, der leer war. Seine Kleidungsstücke waren achtlos auf den Boden geworfen worden. Auch hier zeigten auffliegende Federn, dass sein Bettzeug einer äußerst gründlichen Durchsuchung standhalten musste. Rainer war, als sei das jüngste Gericht über ihn gekommen. Über das Chaos in seinem Badezimmer wunderte er sich kaum noch. Fast hatte er es erwartet.
Esch stolperte über Haufen von Bekleidung und zerschnittenen Kopfkissen ins Wohnzimmer, atmete tief durch und versuchte, in dem Gewühl den Telefonapparat zu finden.
Er stöberte ihn unter den Aktenordnern auf und wählte den Notruf der Polizei.
Nachdem er dem geduldigen Beamten Name und Adresse durchgegeben hatte, warf er einige Polsterkissen zurück auf die Couch, räumte notdürftig einige Bücher zu Seite, um Platz zu schaffen, suchte in der Küche ein Glas und nahm aus dem Kühlschrank eine leider zu warme Flasche Wein. Da er den Flaschenöffner nicht finden konnte, zögerte er keine Sekunde, schlug den Flaschenhals auf der Spüle ab, goss das Wasserglas randvoll und trank gierig in großen Schlucken.
Er füllte das Glas zum zweiten Mal, stiefelte zurück ins Wohnzimmer und ließ sich auf das Sofa fallen. Rainer griff erneut zum Telefon und wählte die Nummer seiner Freundin.
»Westhoff«, meldete sie sich.
»Rainer hier, hallo Stefanie. Wie geht’s?«
»Danke der Nachfrage. Du hörst dich etwas bedrückt an. Was ist los?«
»Stefanie, ich brauche deine Hilfe.«
»Wobei?«
»Beim Aufräumen.«
»Sag mal, spinnst du jetzt total? Ich mach doch nicht deinen Scheiß…«
»Stefanie«, stoppte Esch ihre Empörung, »bei mir wurde eingebrochen.«
»Was? Eingebrochen? Was gibt’s denn bei dir schon zu holen?«
»Meine Loks zum Beispiel«, antwortete er verärgert. »Aber du musst auch nicht…«
»Rainer, entschuldige. Lass uns nicht wieder streiten. Hast du schon die Polizei gerufen?«
»Ja, gerade. Meine Bude sieht aus, als ob eine Elefantenherde durchgetrampelt wäre.«
»Also so wie immer. Wofür brauchst du mich dann?« Ehe er ihr die passende Antwort geben konnte, setzte sie rasch nach.
»Bleib ruhig. Ich komme sofort. Bis gleich.«
Sie legte auf, bevor er sich bedanken konnte.
Die beiden Beamten von Einbruchsdezernat wunderten sich nicht besonders über das Chaos.
»Haben Sie schon einen Überblick, ob und was fehlt?«, fragte einer der beiden.
Der andere Beamte untersuchte die Eingangstür und fotografierte danach das Desaster.
»Nein, nicht vollständig. In der Vitrine dort«, Esch zeigte auf den Wandschrank, »habe ich meine Lokomotivmodelle aufgehoben. Die sind nicht mehr da. Außerdem vermisse ich meine Kamera und mein Urlaubsticket. Das lag auch in der Vitrine.«
»Bargeld, Schmuck?«
»Nee, hab ich nicht.«
»Was waren das für Lokomotiven? Und was für eine Kamera?«
»‘ne Canon. Mit Zoom. War erst ein Jahr alt. Die Loks sind von Märklin. Spur HO. Verschiedene Modelle, zwölf Stück.«
»Was kostet denn so ‘ne Lok?«, wollte der Polizist wissen.
»Unterschiedlich. So um die Dreihundert.«
»Ist ja auch Geld. Machen Sie bitte eine Liste mit den gestohlenen Sachen. Hi-Fi-Geräte«, er musterte Eschs Stereoanlage, die halb hinter Kissen verborgen am Boden stand, »fehlen wohl nicht. Die
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