Zweyer, Jan - Rainer Esch 02
las den Artikel. Er strotzte nur so von Verdächtigungen und Vermutungen. Unbedarfte Leser mussten den Eindruck gewinnen, Banden von Stasi-Mördern durchstreiften die alten und neuen Bundesländer, immer auf der Suche nach unschuldigen Opfern, Hand in Hand mit Tausenden von SED-Seilschaften, die damit beschäftigt waren, die Bundesrepublik und ihre Bewohner schamlos auszuplündern. Esch lachte leise.
Die Bild hatte alle Erwartungen mal wieder übertroffen. Er las weiter:
Grohlers arbeitete bei der Firma EXIMCO in Berlin.
EXIMCO verfügte über gute Kontakte zum SED-Regime. Noch verweigern die Ermittler Auskünfte über den Zusammenhang zwischen dem Mord und der SED. Wie lange noch? Wie Informanten der Bild weiter mitteilten, fuhr das Opfer in einem Taxi der Recklinghäuser Firma Krawiecke in den Tod. War das Zufall? Bild-Reporter bleiben dran. Lesen Sie morgen in Bild: Die Machenschaften der KoKo, Honeckers Jungs fürs Grobe!
Der Hinweis auf Krawiecke schmeckte Rainer nicht.
Angewidert knüllte er die Zeitung zusammen und warf sie hinter den Fahrersitz. Dann machte er sich auf den Weg zu seinem Standort am Hauptbahnhof.
Wenn er noch zehn Minuten gewartet hätte, wäre ihm ein schwarzer Mercedes SLK aufgefallen, der auf das Grundstück seines Arbeitgebers fuhr und kurz vor der Zentrale stoppte.
Dem Wagen entstiegen zwei Männer, die das Gebäude ansteuerten und im Verwaltungstrakt verschwanden. Die Besucher blickten sich im Flur suchend um, klopften schließlich an die Bürotür des Inhabers und traten nach kurzer Wartezeit ohne Aufforderung ein.
»Ja, bitte?« Hans Krawiecke war ausgesprochen ungehalten über die Störung.
»Herr Krawiecke?«, fragte einer der beiden.
»Ja, was wollen Sie?«
»Guten Morgen, Herr Krawiecke. Mein Name ist Müller von der Bildzeitung. Und das ist mein Kollege Schäfer.«
»Und?«
»Sie haben doch sicherlich heute schon unsere Zeitung gelesen. Einer Ihrer Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen hat den Mann gefahren, der in der Innenstadt erschossen wurde.
Können Sie uns etwas mehr über den Fahrer sagen? Wir wollen in einer der nächsten Ausgaben ausführlich darüber berichten. Natürlich würden wir in unserem Artikel«, der Redner sah Krawiecke schmeichelnd an, »auch über Ihr Unternehmen berichten. So eine Art kostenlose Werbung, verstehen Sie.«
Krawiecke verstand sofort. »Ob mir Ihre Werbung was einbringt, bezweifle ich stark. Aber meine Arbeitszeit, wer bezahlt mir die Zeit, die ich für Sie opfere?«
Seine Besucher warfen sich einen schnellen Blick zu. Der Mann, der bisher die Unterhaltung geführt hatte, antwortete auch jetzt. »Natürlich kommen wir dafür auf.« Er griff zu seiner Brieftasche und zählte Krawiecke zwei Hundertmarkscheine auf den Tisch. »Würde das Ihre Kosten decken?«
»Geht klar. Was wollen Sie wissen?«
»Fangen wir doch mit dem Namen des Fahrers und seiner Adresse an.«
Eine halbe Stunde später verabschiedete Krawiecke seine Besucher. Der eine sagte: »Und bitte, kein Wort zu Herrn Esch. Wenn er wirklich so ist, wie Sie ihn schildern, wird er vielleicht versuchen, die Veröffentlichung zu verhindern. Und unsere Leser…«
»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach ihn Krawiecke, »ich sag nichts.«
Als sie sich die Hand gaben, bewunderte Krawiecke den großen Siegelring seines Gegenübers. So einen Ring, sagte er sich, musst du dir auch bei Gelegenheit zulegen.
Bei der Übergabe des Taxis gegen acht musste sich Rainer Esch wieder Vorwürfe seines Chefs wegen der mangelnden Sauberkeit im Taxi gefallen lassen. Besonders ärgerte Esch, dass Krawiecke sogar Recht hatte. Die zusammengeknüllte Bildzeitung vom Morgen lag tatsächlich noch hinter dem Fahrersitz.
Frustriert über seine Niederlage, machte er sich auf den Weg nach Hause, um dort bei Rockmusik und einer Flasche Wein auszuspannen.
11
Seine Wohnungstür öffnete sich bereits nach der ersten Vierteldrehung des Schlüssels, obwohl er sich sicher war, die Tür beim Verlassen der Wohnung abgeschlossen zu haben.
Rainer durchquerte den Flur, um im Wohnzimmer den CD-Player mit der neuesten Stones-Platte anzuwerfen.
An der Wohnzimmertür blieb er wie angewurzelt stehen.
Seine gute Stube sah aus, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte. Die Bücher waren aus den Regalen gerissen und fanden sich auf dem Boden verstreut wieder. Der Inhalt jeder Schublade war ausgekippt. Die Polster der Couch waren hochgeklappt, die Kissen teilweise aufgeschlitzt, so dass Tausende von Federn bei
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