Zweyer, Jan - Rainer Esch 02
sich nach ihrer unverrückbaren Überzeugung schon vor dem Einbruch befunden haben musste. Eschs heftige Dementis ließen sie völlig unbeeindruckt, da sie in der Vergangenheit schon häufiger Utensilien ihres Freundes an Stellen gefunden hatte, die nach seiner Überzeugung völlig undenkbar gewesen wären.
Nach weiteren zwei Stunden war die Wohnung in einem zwar noch recht unordentlichen, aber, wie Stefanie sich ausdrückte, für Rainer Esch üblichen Zustand. Seine Anregung, doch angesichts der frühen Stunde bei ihm zu übernachten, lehnte sie mit einem Lächeln ab, drückte ihm einen freundschaftlichen Kuss auf den Mund, wünschte ihm einen schönen Urlaub und ließ ihn mit seinem Frust allein.
12
Das Hotel Poseidon lag südwestlich der Stadt Mykonos. Esch hätte lieber eine kleinere Pension gebucht, da er sich aber erst sehr spät für Mykonos entschieden hatte, waren die Zimmer in den überschaubareren und auch zumeist billigeren Hotels schon alle vergeben. Trotzdem gefiel ihm seine Unterkunft.
Eschs Flieger war nachmittags gelandet. Nach dem Einchecken im Hotel war es zu spät gewesen für einen ersten Besuch an den nur mit dem Bus erreichbaren Stränden. Esch plante deshalb, zu duschen und dann Mykonos-Stadt zu erkunden. Auch ohne Stefanies Begleitung war er fest entschlossen, die nächsten vierzehn Tage zu genießen.
Sein erster Eindruck von der einzigen Stadt auf der Insel war zwiespältig. Das Labyrinth kleiner Gassen mit sich überraschend öffnenden Plätzen war beeindruckend; beeindruckend waren jedoch auch die Menschenmassen, die es schafften, sich hier durch zu drängen. Esch war froh, dass er nicht in der absoluten Hochsaison hier Urlaub machte, aber auch jetzt, Ende August, ähnelten manche Ecken mehr der Cranger Kirmes als einer griechischen Hafenstadt. Es gab Straßen, da drängte sich Restaurant an Taverne, Taverne an Bar und Bar an Restaurant. Die meisten Boutiquen waren sündhaft teuer. Andere entpuppten sich als typische Touristenfallen, vollgehängt mit T-Shirts drittklassiger Qualität mit mehr oder weniger lockeren Sprüchen. Einer gefiel Esch: If you don’t want oral sex, keep your mouth shut. Richtig schön übel, fand er.
An einem Restaurant, das in einem idyllischen Garten gelegen war, blieb er stehen und studierte die Speisekarte.
Dann schluckte er. Das war keinesfalls der Vorfreunde auf kommende Gaumenfreuden geschuldet, sondern körperliche Reaktion auf die Preise. Ein Zaziki für eintausendvierhundert Drachmen, also fast zehn Mark. Esch ermittelte überschlägig, dass ihn ein Menü hier weit über einhundert Mark kosten würde, ohne Getränke. Wenn das Preisgefüge auf Mykonos überall so war, musste er verhungern.
Esch beschloss, in einer Taverne namens Spiros sein Abendessen einzunehmen. Vor dem Restaurant lag auf einem Tisch eine Speisekarte. Esch überflog die Preise für Speisen und Getränke und atmete erleichtert auf. Die billigste Flasche Wein lag bei etwa einem Zehner, ein Brandy kostete knapp vier Mark und ein Hauptgericht war für fünfzehn Mark zu haben. Das waren zwar nicht die Preise, die er von seinen zahlreichen früheren Besuchen auf griechischen Inseln gewohnt war, hielt sich aber in Grenzen. Er warf einen Blick in die Kühltheke vor dem Lokal, entschied sich für gegrillte Calamaris, suchte sich einen windgeschützten, dennoch aber luftigen Platz am Fenster, bestellte, erhielt sofort seinen Wein und war mit der Welt und vor allem mit Mykonos wieder einigermaßen versöhnt. Das Spiros, so erzählte sein Reiseführer, war vor mehreren Jahrzehnten von einem Griechen gegründet worden, dessen Namen das von seinen Verwandten geführte Lokal heute noch trägt. Spiros soll damals, glaubte man dem Reiseführer, einer der bekennenden Busengrabscher der Insel gewesen sein. Zu Eschs Bedauern kam es während seines Aufenthaltes im Lokal zu keinem solcher Ausrutscher der heutigen Restaurant-Crew. Er hätte zu gerne den dann folgenden Schlagabtausch beobachtet.
Nach dem recht ordentlichem Essen nahm er sich vor, noch einen Absacker in einer der Kneipen weiter weg vom Meer zu nehmen, die, so hoffte er, möglicherweise etwas billiger sein würden. Die Gassen hatten sich jetzt mit noch mehr Menschen gefüllt. Esch entdeckte zahlreiche Berufsjugendliche, diese allerdings mit Pensionsanspruch.
Die Gyrosbude, die am frühen Abend noch ziemlich vereinsamt dagestanden hatte, war nun von Menschenmassen umlagert, die auf ihren Gyros-Pita warteten, was Esch angesichts
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