Zweyer, Jan - Rainer
bekommen und versuchte, ihn wieder in den Raum hineinzuziehen. Schwarze Feder rutschte ein Stück zurück, breitete aber dann seine Arme aus, suchte und fand Halt an der Hauswand. Solange Sven diese Stellung verteidigte, war es Mühlenkamp unmöglich, seiner habhaft zu werden. Und ließ der Dicke nur für einen Moment sein linkes Bein los, war Schwarze Feder frei. Der Häuptling schob sein anderes Bein zurück durch das Fenster und strampelte wild um sich. Er hatte Erfolg. Einer seiner Tritte musste den Angreifer schwer getroffen haben, denn dieser stieß einen Schmerzensschrei aus und lockerte den Griff. Blitzartig schlängelte sich Sven endgültig durch die Öffnung und kam stolpernd auf die Beine.
Dann rannte er los.
Anfeuerndes Geheul seiner Stammesgenossen machte ihm klar, dass Mühlenkamp ihm immer noch auf den Fersen war.
Er riskierte einen Blick zurück. Tatsächlich stapfte der Mann die Kellertreppe hoch und lief hinter ihm her. Im freien Gelände hatte er jedoch gegen einen Indianerhäuptling nicht die Spur einer Chance. Zumal ihm sein Stamm Feuerschutz gewährte.
Ein Erbsenhagel, abgefeuert aus mehreren Blasrohren, ging auf Svens Verfolger nieder. Dieser blieb stehen, ballte die Faust und rief: »Ich weiß, wer du bist, Sven Gröner. Und ich verspreche dir, dat ich dich kriege. Auch wenn es Tage dauert.
Ich kriege dich, du kleiner Scheißer. Und dann mach ich kurzen Prozess! Darauf kannsse dich verlassen.«
Dem Jungen imponierte die Drohung nur wenig. Er sprang über den Zaun und der ganze Stamm setzte sich mit Kriegsgeheul in sicheres Gelände ab. Schwarze Feder sonnte sich in der Bewunderung seiner Gefolgschaft. Auf absehbare Zeit würde ihm keiner den Häuptlingstitel streitig machen.
50
Baumann hatte seinen Chef gestern nach der Durchsuchungsaktion im Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen abgesetzt. Seitdem hatte er von Brischinsky nichts mehr gehört.
Heute Morgen war der Kommissar zunächst ins Präsidium gefahren, um mehr über Schmidts Familie zu erfahren. Eva Schmidt, geborene Ivanceau, war nicht mehr in Essen gemeldet. Und ihre neue Anschrift war entgegen der Vorschriften des Meldegesetzes nicht verzeichnet. Baumann vermutete einen Fehler der zuständigen Ämter, so wie er immer wieder vorkam. Geboren war Eva Schmidt am 3. Juli 1973 in Resita, Rumänien. Baumann stutzte. Aus dieser Stadt waren die Briefe gekommen, die sie in Schmidts Wohnung gefunden hatten. Hielt sich die Frau wirklich wieder in ihrer Heimatstadt auf? Und hatte das Ehepaar eine Tochter? Oder lebte dort eine zweite Eva gleichen Namens?
Ohne große Erwartungen speiste Baumann das Wenige, das er wusste, in die polizeilichen Datenbanken ein. Es dauerte nicht lange, dann spuckte der Rechner aus, was gespeichert war: Eine Eva Schmidt, geboren am 3. Juli 1973 in Resita in Rumänien, war vor nicht ganz zwei Monaten in einem Strafverfahren wegen Beischlafdiebstahls zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten verurteilt worden und saß seitdem in der JVA Gelsenkirchen ein. Davor hatte sie in Dortmund gelebt, wo sie einen zweiten Wohnsitz angezeigt hatte. Und zwar ununterbrochen seit 1990.
Baumann glaubte nicht, dass das ein Zufall war. Eine Tochter namens Nina tauchte in den Unterlagen nicht auf.
Er beschloss, dieser Angelegenheit auf den Grund zu gehen.
Drei Telefonate später hatte man dem Kommissar eine Besuchserlaubnis zugesagt. Baumann hinterließ seinem Chef eine Nachricht und fuhr los.
Die JVA lag an der Stadtgrenze zu Essen. Auf dem Weg dorthin deckte sich der Kommissar mit fünf Paketen Zigarettentabak und -papier ein und verstaute seinen Einkauf in einer Plastiktüte.
Der Beamte parkte seinen Wagen auf einem der zahlreichen Besucherparkplätze, die sich direkt gegenüber dem lang gestreckten Gebäude befanden, und ging zu dem eher unscheinbaren Besuchereingang, der natürlich von einer Videokamera überwacht wurde. Er schellte und nannte seinen Namen.
Kurz darauf durfte Baumann die erste der Schleusen betreten, die die angeblich Guten draußen von den vermeintlich Bösen drinnen trennten. Er wartete, bis sich die Eingangstür wieder geschlossen hatte. Erst dann ließ sich die zweite Stahltür einige Meter entfernt öffnen. Vor ihm lag ein etwa zwanzig Schritte langer Gang. Hinter Panzerglas auf der rechten Seite saß ein JVA-Bediensteter, der seinen Ausweis prüfte.
»Wenn Sie Ihre Dienstwaffe bei sich trägen sollten, legen Sie sie bitte hier ab.« Der Schließer zeigte auf eine bereitstehende Kassette.
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