Zweyer, Jan - Rainer
wollte sie mir ansehen«, erklärte Sabine.
»Un warum?«
Sabine zögerte.
»Warum?«, brüllte Mühlenkamp plötzlich los.
Die junge Frau zuckte zusammen, warf einen erschrockenen Blick zu Rainer, hatte sich dann aber wieder in der Gewalt.
»Ich… ich glaube, dass Horst ermordet worden ist.«
Der Dicke schüttelte verständnislos den Kopf. »Abba…«
»Und ich will, dass du als Nebenkläger auftrittst, falls es zur Anklage kommt.«
»Ich soll wat?« Mühlenkamp sah erst zu Sabine, dann zu Rainer.
Der hob die Schultern und grinste schief.
»Müssen wir das hier diskutieren oder können wir in deine Wohnung gehen?« Sabine Schollweg schob Mühlenkamp sanft zur Seite. Widerstrebend machte dieser Platz.
Diesmal war die Wohnung aufgeräumt. Keine leeren Flaschen, keine Zeitungsstapel, keine vollen Aschenbecher.
Alles war wie geleckt. Fast schon zu ordentlich, fand Rainer.
Als ob der Wohnungsinhaber Gedanken lesen konnte, holte er drei Flaschen Bier, knallte sie auf den Tisch und steckte sich eine Zigarette an. Rainer und Sabine lehnten die Getränke dankend ab, aber Mühlenkamp ließ die Pullen auf dem Tisch stehen.
Stockend begann Sabine zu sprechen. Sie erzählte von der Krankheit ihres Freundes, von den gemeinsamen Plänen für die ihnen verbleibende Zeit, von FürLeben, der plötzlichen Genesung und ihrem schrecklichen Verdacht. Das alles kannte der Anwalt schon. Und er hatte den Eindruck, dass auch Mühlenkamp nichts Neues hörte. Trotzdem unterbrach keiner der beiden die Frau; vielleicht, weil ihnen klar war, dass Sabine sich das Erlebte einmal von der Seele reden musste.
»Deshalb brauchst du auch keine Angst zu haben, dass ich dir die Haushälfte wegnehmen werde. Du kannst die Bude hier behalten«, beendete Sabine Schollweg ihre Erklärung.
»Wie viel Geld krichst du eigentlich?«, erkundigte sich Paul Mühlenkamp.
»Etwa fünfzigtausend. Zumindest hat mir Ihr Bruder das so geschrieben«, warf Rainer ein.
»Hm.« Mühlenkamp nahm den letzten Schluck aus seiner Flasche und schielte auf das Bier, welches vor Rainer stand.
»Se wollen wirklich nich, oder?«, fragte er, schob die Hand über den Tisch und griff im selben Augenblick zu. »Dann kann ja wohl ich…«
Nachdem er getrunken hatte, wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund. »Viel Geld. Abba gut.« Er streckte Sabine seine Rechte entgegen. »Wir machen den Deal.
Du die Knete, ich dat Haus.« Paul Mühlenkamp wirkte ziemlich zufrieden, als Sabine Schollweg einschlug. »Un wat is dat mit der Nebenklage?«
Zwei Stunden später saß Rainer wieder in seinem Büro, blätterte in dem roten Aktenordner und nippte an einem Kaffee. Viel gaben die Unterlagen, die Horst Mühlenkamp aufbewahrt hatte, nicht her. Der Vertrag mit der Gesellschaft, die Schweigepflichtentbindungserklärungen für die behandelnden Ärzte, ärztliche Gutachten, deren Inhalt Rainer kaum verstand, und verschiedene Werbebroschüren der FürLeben.
Es klingelte.
»Frau Krämke will dich sprechen«, teilte Martina mit.
»Kenn ich nicht«, knurrte Esch, ungehalten über die Störung.
»Red nicht. Eine Mandantin. Von dieser Apotheke aus Bochum.«
»Habe keine Zeit. Wimmele sie ab.«
»Du meinst wohl eher, keine Lust. Abwimmeln ist nicht. Sie will dich unbedingt sprechen.«
»Ich bin nicht da.«
»Zu spät.« Es knackte in der Leitung. Rainer unterdrückte einen Fluch und meldete sich.
»Hallo, Herr Esch«, hörte er Margit Krämke.
»Womit kann ich Ihnen helfen?«
Die Tür ging auf und Martina legte ihm wortlos den Schnellhefter auf den Schreibtisch. Rainer warf ihr einen bösen Blick zu. Martina flüsterte: »Du mich auch.«
»Sie haben mir schon geholfen.«
»Inwiefern?« Esch blätterte in den Unterlagen. Er fand seine Notizen, das Schreiben an die Rechtsschutzversicherung sowie die erhobene Kündigungsschutzklage.
»Mein Chef hat mir eine Abfindung angeboten und wir haben uns geeinigt. Ich habe den Scheck schon in der Tasche. Sie brauchen nichts mehr für mich zu tun.«
Schon wieder hatte sich ein lukratives Mandat verabschiedet.
Rainer seufzte. »Wie viel hat er Ihnen angeboten?«
»Zunächst fünfundzwanzigtausend.«
»Euro oder Mark?«
»Ich bitte Sie. Natürlich Euro.«
Natürlich. Frau Krämke hatte augenscheinlich keine Schwierigkeiten, sich an die neue Währung zu gewöhnen. Er las in seinen Notizen nach. Zwanzig Beschäftigungsjahre, zweitausend Brutto, ein halbes Gehalt als Regelabfindung, das machte…
»Ihr Chef hat Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher