Zweyer, Jan - Rainer
eigentlich besser wissen müssten, am Telefon vertrauliche Details preisgaben, wenn man sich mit
»Kripo« meldete und überzeugend genug auftrat. Wer wollte da verhindern, dass ältere Omas Trickbetrügern Geld an eine unbekannte Adresse schickten, wenn diese sich am Telefon als in Not geratene Enkel ausgaben?
Baumann kaute an seinem Kugelschreiber. Draußen waren es bereits jetzt fünfundzwanzig Grad. Und er hockte hier, die Schuhe in einer halb trockenen Teepfütze. Da wäre es doch erheblich angenehmer, nach Münster zu fahren, in einer Eisdiele in der Sonne zu sitzen und auf dem Weg quasi nebenbei auch diesen Geschäftspartner der Lehmanns zu befragen. Zwar hatte ihnen der Apotheker versichert, keinen weiteren Ärger mit Lieferanten gehabt zu haben, aber man konnte ja nie wissen. Baumann kramte in den Fächern seines ledernen Zeitplaners. Wo hatte er denn nur die Telefonnummer der langbeinigen Schönen, die er vor zwei Wochen in einer der Münsteraner Altstadtkneipen kennen gelernt hatte?
Das Firmengelände des Lieferanten der Heiligen-Apotheke befand sich in einem Industriegebiet am südlichen Rand der Stadt. Ein zweigeschossiger weißer Kasten diente als Verwaltungsgebäude, dahinter schlossen sich flache Lagerhallen an. Eine ansehnliche Flotte von einheitlich lackierten Transportfahrzeugen verschiedener Fabrikate stand auf dem Parkplatz.
Baumann stellte den Passat auf einem der für Besucher freigehaltenen Plätze ab und betrat das Verwaltungsgebäude.
Direkt hinter der gläsernen Eingangstür befand sich eine Art Empfang. Der Kommissar begrüßte die ältere Dame, zückte seinen Dienstausweis und bat darum, den Geschäftsführer sprechen zu dürfen. Zwei Minuten später saß er dem Juniorchef in dessen hypermodern eingerichtetem Büro gegenüber.
»Besonderheiten in unseren Geschäftsbeziehungen zu der Heiligen-Apotheke? Was meinen Sie genau?«
Genau wusste das Baumann selbst nicht. Deshalb war er ja hier. »Zahlungsverzögerungen, zum Beispiel. Oder Reklamationen. Irgendetwas Besonderes eben.«
»Nein, da fällt mir nichts ein. Aber«, der Juniorchef stand auf und ging zur Tür, »ich lasse mir schnell unsere Kundenakte bringen. Da steht alles drin.« Er verschwand im Vorzimmer.
Wenig später brachte die Sekretärin das Gewünschte. Der Juniorchef schaute in den Ordner. »Nein, nichts. Aber so wie es aussieht, sind wir auch nicht der Hauptlieferant dieses Kunden.«
Baumanns Interesse war geweckt. »Wie meinen Sie das?«
»Na ja, die Umsätze. Sie sagten mir doch eben, dass in der Heiligen-Apotheke neben den Eigentümern auch Angestellte beschäftigt sind?«
»Stimmt. Die sind allerdings im Moment in Kurzarbeit.«
»Das spielt keine Rolle. Es muss noch einen anderen Lieferanten geben. Die Umsätze waren in den letzten Jahren so gering, davon können die nicht leben und nicht sterben.
Geschweige denn Angestellte bezahlen. Kurzarbeit hin oder her.«
»Sind Sie sich sicher?«
»Sehen Sie, wir haben unsere Erfahrungswerte. Machen wir doch eine grobe, überschlägige Kalkulation: Gehen wir davon aus, dass eine pharmazeutisch-technische Angestellte einschließlich Lohnnebenkosten brutto etwa vierzigtausend im Jahr kostet. Das Apothekerehepaar will selbst auch leben.
Sagen wir sechzigtausend. Unterste Grenze. Dann die Miete…«
»Das Gebäude ist im Eigentum der Apotheker.«
»Macht nichts. Zinsen und Tilgung kosten auch Geld. Über den Daumen dreißigtausend. Mit allen Nebenkosten wie Versicherungen, Telefon und so weiter sind Sie schnell bei insgesamt zweihundertachtzigtausend Euro im Jahr. Das sind die Kosten, verstehen Sie? Das bedeutet, dass eine solche Apotheke einen Umsatz von mindestens einer Million machen muss, um über die Runden zu kommen. Mit einem solchen Umsatz liegen Sie aber nur im unteren Drittel. Reichtümer können Sie so nicht scheffeln. Der größte Teil unserer Kunden setzt zwischen einer und drei Millionen im Jahr mit uns um.
Und das sind nicht die Spitzenreiter.«
»Und die Heiligen-Apotheke?«
Der Juniorchef machte ein betretenes Gesicht. »Wenn Sie nicht sagen, von wem Sie diese Information haben…«
Baumann schüttelte den Kopf.
»Dreihundertfünfzigtausend im letzten Jahr.«
»Und was bleibt davon an Gewinn übrig?«
Seinem Gegenüber war die Frage sichtlich unangenehm.
»Sehen Sie, das müssen Sie verstehen… So genau kann man das nicht sagen. Unsere Rabatte sind Geschäftsgeheimnis.
Unterschiedlich gestaffelt. Nach Kunden. Es wäre mir sehr
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