Zweyer, Jan - Rainer
freiwillig fünfundzwanzigtausend angeboten?«, fragte er ungläubig. Rainer hielt sich zwar für einen guten Anwalt, aber so brillant war seine Klageschrift nun auch nicht gerade gewesen, dass sie den Arbeitgeber hätte veranlassen können, in eine Abfindung einzuwilligen, die fünftausend über dem lag, was ein Gericht voraussichtlich festgelegt hätte.
»Ich sagte eben: zunächst.«
»Ja?« Rainer glaubte kaum, was er nun hörte.
»Dann hat er noch fünfzehntausend draufgelegt.«
Esch schluckte. Dann fiel ihm etwas ein. »Wenn ich mich richtig erinnere, erzählten Sie mir bei unserem ersten Gespräch etwas über – wie haben Sie sich ausgedrückt? – Schmu, der in der Apotheke gelaufen ist. Hat dieser… Schmu… etwas mit der Höhe der Abfindung zu tun?«, fragte er vorsichtig.
»Aber sicher«, flötete sie.
»Um was handelt es sich denn genau?«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen… Wir haben absolute Vertraulichkeit vereinbart, mein Chef und ich.«
»Ich bin Ihr Anwalt.«
»Eigentlich nicht mehr.«
Dass sie das sagen würde, hatte Rainer befürchtet.
»Außerdem unterliege ich der Schweigepflicht.«
»Ich weiß nicht…«
Er entschloss sich zu einem Generalangriff. »Das, was Sie getan haben, würden Ihnen nicht so gewogene Personen als Erpressung bezeichnen.«
Für einen Moment war es ruhig am anderen Ende der Leitung. Dann fragte Margit Krämke mit verzagter Stimme:
»Wen meinen Sie damit?«
»Den Staatsanwalt zum Beispiel.«
»Den Staatsanwalt?«
»Genau. Ihre Abfindungsregelung ist rechtlich unwirksam, weil sie mit ungesetzlichen Mitteln zu Stande kam. Ihr Arbeitgeber kann sie jederzeit widerrufen, im schlimmsten Fall kann er Sie sogar anzeigen.«
»Mich anzeigen?« Sie dachte einige Sekunden nach. »Nein, nie und nimmer.«
»Warum sind Sie sich da so sicher?«
»Weil er dann selbst dran wäre.«
Rainer war erneut fassungslos. »Wieso?«
»Sie dürfen wirklich nicht darüber reden?«
»Nein.«
»Na gut. Nicht immer wurde so abgerechnet, wie es die Krankenkassen eigentlich vorschreiben, verstehen Sie?«
Ehrlich antwortete Rainer: »Nein.«
»Es gibt Patienten, die lassen sich von ihrem Arzt Medikamente gegen Krankheiten verschreiben, an denen sie eigentlich nicht leiden.«
Esch wusste immer noch nicht genau, was sie meinte.
»Und?«
Margit Krämke seufzte. »Sie sind aber schwer von Begriff.
Stellen Sie sich Folgendes vor: Ich klage bei meinem Hausarzt über, sagen wir, leichtes abendliches Fieber. Der vermutet natürlich eine Infektion und verschreibt ein Antibiotikum. Mit dem Rezept gehe ich in die richtige Apotheke und erhalte…«
»Keine Arznei?«, vermutete Rainer.
»Richtig.«
»Was sonst? Geld?«
»Nein. Zumindest bei uns nicht«, schränkte sie ein.
»Fruchtsäfte. Oder irgendwelche Salben, die es nicht auf Rezept gibt.«
»Und das lohnt sich?«
»Kleinvieh macht auch Mist«, antwortete Margit Krämke.
»Und außerdem: Aus zehn Einheiten eines Medikaments werden manchmal zwischen Arztpraxis und Krankenkasse auch fünfzig oder hundert.«
Das verstand Rainer. Eine Null war schnell geschrieben.
»Das dann aber natürlich ohne Mitwirkung des Patienten.«
»Genau. Verstehen Sie jetzt, warum mein Chef mich bestimmt nicht anzeigt?«
»Ja. Haben Sie sich jemals an solchen, äh, Manipulationen beteiligt?«
»Nein, nie.«
Esch glaubte ihr kein Wort.
»Müssen Sie meine Rechtsschutzversicherung einschalten?«
Der Anwalt wusste sofort, auf was sie hinauswollte. »Ich habe zwar ein Anspruchsschreiben geschickt, aber ich kann nun der Versicherung mitteilen, dass die Angelegenheit gütlich beendet wurde und lediglich die übliche Gebühr anfällt.«
»Und die Klage?«
»Können Sie zurückziehen.«
»Ohne Angabe von Gründen?«
»Natürlich. Nur…«, der Anwalt suchte nach den richtigen Worten.
Margit Krämke zögerte keine Sekunde. »Sie können mir eine Rechnung schicken. Für dieses Gespräch beispielsweise.«
Darauf konnte sie sich verlassen. »Sehr freundlich von Ihnen.
Machen Sie es gut, Frau Krämke«, erwiderte Rainer nur.
Nachdem er aufgelegt hatte, fragte er sich, ob er es mit seinen Standesregeln vereinbaren konnte, das Gehörte für sich zu behalten, oder ob er gezwungen war, die Staatsanwaltschaft zu informieren. Nach kurzem Nachdenken entschied er sich dafür, Frau Margit Krämke weiter als Mandantin zu betrachten und die Klappe zu halten. Betrug oder Untreue waren schließlich keine Kapitalverbrechen. Anschließend diktierte er Martina
Weitere Kostenlose Bücher