Zweyer, Jan - Rainer
Rainer sich nicht vorstellen. Selbstverständlich gab es auch noch andere Mordmotive: Eifersucht zum Beispiel. Oder Rache. Aber keiner dieser Gründe schien hier zuzutreffen. Nein, so wie es aussah, hatte das stärkste Mordmotiv tatsächlich diese seltsame Agentur, beziehungsweise der unbekannte Investor. Er hatte sein eingesetztes Kapital in den Sand gesetzt. Zwar nicht für immer, aber möglicherweise für Jahrzehnte.
Wenn Horst Mühlenkamp tatsächlich einem
Kapitalverbrechen zum Opfer gefallen war, musste sein Mörder vermutlich im Umfeld von FürLeben gesucht werden.
In diesem Punkt teilte Rainer Sabine Schollwegs Meinung.
An dieser Stelle seiner Überlegungen angelangt, stand Rainer auf, ging zu dem Schrank, auf dem sich alte Zeitschriften und neue Akten stapelten, griff zu dem roten Ordner, in dem sein früherer Mandant seine Unterlagen abgeheftet hatte, und blätterte ihn im Schnellgang durch. Er fand nicht das, was er suchte. Also setzte er sich wieder, legte die Unterlagen vor sich auf den Schreibtisch und kontrollierte sorgfältig Seite für Seite.
Ohne Erfolg. Die Lebensversicherungspolice von Mühlenkamp war nicht in dem Ordner enthalten. Der Anwalt schob sich eine weitere Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie an.
Dann griff er zum Telefonhörer.
»Agentur FürLeben«, flötete eine weibliche Stimme. »Ich bin Karin Semmler. Was kann ich für Sie tun?«
Esch stellte sich vor und sagte: »Einer Ihrer… äh…
Mandanten ist vor etwa einer Woche verstorben. Ich vertrete seine Erben. Nun benötige ich Auskünfte über eine Lebensversicherung, die er, soweit mir bekannt ist, an Ihre Agentur abgetreten hat. Ich…«
»Einen Moment bitte. Ich verbinde.«
Es knackte. Der Anwalt hörte für etwa eine halbe Minute krächzende Musik. Dann knackte es wieder.
»Schmidt.«
Rainer sagte erneut seinen Spruch auf.
»Das tut mir Leid, Herr Esch. Wir geben grundsätzlich keine Auskünfte über die Geschäftsbeziehungen zu unseren Klienten. Wir und unsere Partner haben uns vertraglich zu Stillschweigen verpflichtet.«
»Das kann ich nachvollziehen. Aber ich bin Anwalt. Ich unterliege ebenfalls der Schweigepflicht. Und ich bin mit einer Erbschaftsangelegenheit betraut. Natürlich kann ich mich auch an das Nachlassgericht wenden und mir einen entsprechenden Beschluss besorgen.« Das war geblufft. »Aber ich dachte, mit etwas gutem Willen auf Ihrer Seite…«
»Um wen handelt es sich überhaupt?«
»Horst Mühlenkamp.«
»Einen Augenblick.« Eine Computertastatur klapperte. Dann war Schmidt wieder in der Leitung. »Wohnhaft in Recklinghausen, Leusbergstraße?«
»Genau.«
»Ja, Herr Mühlenkamp ist einer unserer Klienten. Und Sie sagten, er sei verstorben?«
»Ja.«
»Wann?«
»Anfang der Woche.«
»Interessant.« Es klapperte wieder. »Wir haben noch keine Meldung bekommen.«
»Soweit mir bekannt ist, hat Herr Mühlenkamp seine Lebensversicherung über Ihre Agentur an einen, sagen wir, Investor abgetreten.«
»Das ist richtig. Aber wir nennen diese Leute Kunden.«
»Mich würde nun interessieren, wer dieser ›Kunde‹ ist.«
»Ausgeschlossen, Herr Esch. Diese Information ist wirklich streng vertraulich.«
»Kommen Sie…«
»Nein, unmöglich. Bitte verstehen Sie mich. Ich habe meine Vorschriften.«
Rainer seufzte. Immer diese deutschen Sekundärtugenden.
»Schon klar. Vielleicht können Sie mir wenigstens etwas über das Prozedere erzählen. Ganz allgemein.«
»Na gut. Wenn wir uns entscheiden, mit einem Klienten einen Vertrag abzuschließen, muss sich dieser verpflichten, sich regelmäßig untersuchen zu lassen und den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Dann…«
Das wusste Rainer ja längst. Deshalb unterbrach er seinen Gesprächspartner. »Mich interessiert besonders der notarielle Vertrag. Darin ist doch festgehalten, wer der Begünstigte ist?«
»Selbstverständlich.«
»Und dann?«
»Wird ein entsprechender Formbrief mit der Unterschrift des Versicherten an dessen Versicherung vorbereitet. Gleichzeitig hinterlegt der Kunde den vereinbarten Betrag in bar oder überweist ihn auf ein Konto des Notars. Das ist ein Zug-um
Zug-Geschäft. Sobald der Betrag eingegangen ist, schickt der Notar den Brief, in dem die Änderung des Begünstigten mitgeteilt wird, und die notarielle Vereinbarung an die Versicherung. Das war es.«
»Und Ihre Provision? Wann wird die fällig?«
Schmidt zögerte einen Moment. Dann antwortete er: »Nach
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