Zweyer, Jan - Rainer
Sie nichts dagegen haben, möchte ich mich nochmal kurz in der Wohnung Ihres Bruders umsehen. In der Akte, die Sie mir überlassen haben, fehlt ein wichtiges Schriftstück.«
Mühlenkamp schien das nicht besonders zu interessieren.
»Mir egal«, nuschelte er und machte Anstalten, den Videorekorder in Betrieb zu setzen.
»Entschuldigung«, intervenierte Rainer rasch. »Der Schlüssel ist…«
»Hängt im Flur. Aber lass die CDs stehen. Wenn da später eine fehlt…« Mühlenkamps Blick sollte bedrohlich sein, wirkte aber einfach nur lächerlich.
»Geht klar. Die Papiere kann ich mitnehmen?«
Esch verstand das Antwortgrunzen als Zustimmung. Auf dem Weg nach oben begleiteten ihn dilettantisch vorgetragene Lustschreie.
Auch bei diesem Besuch in der Wohnung des Toten fühlte sich der Anwalt unwohl. Diese Empfindung war sogar noch stärker als beim ersten Mal, wahrscheinlich deshalb, weil er sich allein in den Räumen aufhielt. Die Luft in der Wohnung roch immer noch abgestanden, schal. Auf dem Schreibtisch stand eine leere Bierflasche. Die war neu. Rainer durchsuchte erfolglos den Schreibtisch, dann die Regale. Nur widerstrebend sichtete er die Ordner. Private Korrespondenz. Das ging ihn alles nichts an. Nach zehn Minuten erfolgloser Suche entschied er, Mühlenkamp zu bitten, ihm bei der Suche behilflich zu sein. Falls es ihm gelang, ihn von dem Pornofilm wegzulocken, schränkte Rainer in Gedanken ein.
Esch stieg die Treppe hinunter, klopfte an der Tür und betrat den Wohnraum. Mehrere nackte Leiber tummelten sich inzwischen auf dem Bildschirm – auf, vor und neben einer eindeutig zu schmalen Couch. Es dauerte einen Moment, bis Rainer die Übersicht gewonnen hatte: zwei Männer und drei Frauen.
Mühlenkamp lag laut schnarchend auf dem Rücken, die Turnhose bis zu den Knien heruntergezogen. Sein Slip war allerdings noch an seinem Platz. Rainer musste grinsen.
Augenscheinlich hatten der Suff und der Schlaf Mühlenkamp zu schnell übermannt.
Der Anwalt beugte sich zu ihm hinunter, um ihn zu wecken.
Dabei stieß er gegen eine Bierflasche. Die Flasche wankte einen Augenblick, kippte und ein großer Teil des Inhalts ergoss sich über einen der Polstersessel.
»Verdammt«, fluchte Rainer halblaut, schnappte sich das Teil und stellte es zurück auf den Tisch.
»Herr Mühlenkamp.« Keine Reaktion. Nur das Schnarchen wurde etwas dröhnender. Esch schüttelte den Liegenden und rief erneut seinen Namen.
Der Anwalt begab sich auf die Suche nach etwas, mit dem er das vergossene Bier aufwischen konnte. In der Küche lag neben dem Herd eine Rolle Küchenpapier. Und darunter ein blauer Schnellhefter, auf dem ein weißer Aufkleber pappte: FürLeben – Vertrag.
Esch widerstand der Versuchung, das Dokument an Ort und Stelle zu lesen. Er klemmte sich den Ordner unter den Arm und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Der Videorekorder spulte das Band zurück. Die Fünfergruppe war anscheinend der fulminante Höhepunkt des Films gewesen.
Nachdem Rainer die Folgen seines Missgeschicks beseitigt hatte, unternahm er einen letzten Versuch, Mühlenkamp zu wecken. Auch der blieb vergeblich.
Nach kurzem Nachdenken schnappte sich Esch den Ordner und verließ das Haus. Aufkommende Zweifel an der Rechtmäßigkeit Seines Handelns wischte er beiseite.
Schließlich hatte ihn Mühlenkamp ja sozusagen autorisiert, den Vertrag mitzunehmen.
Im Wagen siegte Rainers Neugier. Er blätterte das Schriftstück durch, bis er zu dem Paragrafen kam, der die Bezugsberechtigung regelte. Die Straße, in der der Anspruchsberechtigte lebte, war ihm unbekannt: Essen, Gutenbergstraße 20. Auch der Name, den er las, sagte ihm nichts. Horst Mühlenkamps Vertragspartner hieß Knut Hendrikson.
Zurück im Büro wählte Esch die Nummer von Knut Hendrikson, die er dem Essener Telefonbuch entnommen hatte. Der Ruf ging durch und es wurde sofort abgenommen.
Eine weibliche Stimme sagte rasend schnell ein Sprüchlein auf. Rainer verstand nur etwas von »Service«, nannte seinen Namen und fragte dann: »Ich habe Sie nicht richtig verstanden.
Mit wem bin ich verbunden?«
»Industrieservice GmbH und Co KG. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Der Anwalt war irritiert. Im Telefonbuch stand nichts von einer Gesellschaft. »Ich möchte Herrn Hendrikson sprechen.«
»Wen bitte?«
»Knut Hendrikson.«
»Tut mir Leid. Herr Hendrikson ist nicht im Haus. Wenn Sie eine Nachricht hinterlassen wollen…?«
»Ja, äh, nein. Wann kann ich Herr Hendrikson denn
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