Zweyer, Jan - Rainer
Rainer kroch aus dem Bett und schlurfte zum Telefon. Kurt Schaklowski.
»Na, wieder unter den Lebenden?«, trompetete er in einer solchen Lautstärke, dass Esch einigen Abstand zwischen sein Ohr und den Hörer brachte.
»Wie man es nimmt.«
»Hast ja gestern ganz schön einen geladen.«
Anscheinend hatte er auch Kurt… Rainer grauste es plötzlich.
Einen solchen Filmriss hatte er noch nie gehabt. Vielleicht sollte er doch über seine Trinkgewohnheiten nachdenken.
»Woher weißt du…«, erkundigte er sich vorsichtig.
»Am Telefon. Gestern Abend«, krähte Kurt fröhlich. »Du hast mich doch nach ‘nem Haus gefragt.«
Stimmt. Rainer hatte sich mit Cengiz darüber unterhalten, dass nach seiner Meinung nur ein Haus mit Garten die richtige Wohnform für eine Kleinfamilie mit Kind darstellte. Sein Freund hatte ihm zwar zugestimmt, dennoch aber die Auffassung vertreten, Rainer solle diese Frage in Ruhe mit seiner zukünftigen Frau besprechen. Rainer selbst dagegen war der Ansicht, dass ein Familienvater bereit sein müsse, wichtige Entscheidungen notfalls auch allein zu treffen. So dokumentiere man Verantwortungsbewusstsein. Cengiz’
Einwände gegen seine Argumentation hatte Rainer vom Tisch gewischt: Zum einen müsse Cengiz als Türke und Freund seine Motive nachvollziehen können, zum anderen habe dieser schließlich noch nie Vaterfreuden entgegengesehen. Den zaghaften Hinweis, dass auch Rainer bisher noch nie in einer solchen Situation gewesen sei, ließ der Anwalt nicht gelten.
»Ja, genau. Und?«
»Ich hab da wat für euch. Also, natürlich nicht ich. Abba der Freund vom Schwager meiner Schwester muss umziehen.
Irgendwo in die Gegend um Frankfurt, verstehse. Wat Beruflichet. Un der sucht ‘nen Mieter für sein Haus. Die Bude is irgendwo in Castrop. Quasi umme Ecke.«
Während Kurt ihm Einzelheiten schilderte, suchte Rainer nach einem Blatt Papier, um sich Notizen zu machen.
»Ist ja großartig. Vielen Dank, Kurt. – Ja, wir nehmen das Haus. – Natürlich ist das sicher. Du kennst mich doch. – Grüß den… äh… Freund des Schwagers deiner Schwester.«
Rainer legte auf. Elke würde sich freuen!
Dann rief er Cengiz an. Der Mazda stand sicher auf einem Firmenparkplatz. Cengiz hatte bereits am frühen Morgen dafür gesorgt, dass sein Fahrzeug den städtischen Greiftrupps nicht in die Hände fiel.
Rainer konnte sich zwar nicht erinnern, den Schlüssel bei seinem Freund gelassen zu haben, aber da sich dieser nicht mehr an dem Bund befand, musste er gestern wohl doch noch Übersicht bewiesen haben. Oder Cengiz, schränkte Rainer selbstkritisch ein.
Schließlich sprach er mit Elke und verabredete sich mit ihr für den späten Vormittag in einem Café in der Recklinghäuser Innenstadt.
Zufrieden mit sich und der Welt stiefelte er unter die Dusche.
»Du hast was?« Elke sah ihn entgeistert an. Ihre Augen blitzten. Rainer kannte diesen Blick. Aber er war fest entschlossen, nicht klein beizugeben. Dieses Mal nicht.
Schließlich ging es um die Zukunft seiner Familie.
»Ein Haus gemietet.« Er machte eine Pause. »Na ja, quasi gemietet.«
»Was heißt ›quasi‹?«
»Ich habe natürlich noch keinen Mietvertrag unterschrieben.
Selbstverständlich wollte ich vorher mit dir darüber reden.«
»Wirklich? Das ist ja nett.«
»Es wird dir gefallen. Das Haus hat zwei etwa gleich große Wohnungen mit je drei Zimmern. Ich nehme die untere, du kannst mit dem Jungen oben einziehen und ich…«
»Welchem Jungen?«
»Unserem natürlich.« Er ließ sich nicht unterbrechen.
»Unsere Küche kommt nach oben. Den dafür vorgesehenen Raum in der Erdgeschosswohnung wollte ich als Spielzimmer für den Kleinen herrichten. Das geht gut, denn da ist ja der Boden auch gefliest. Wenn er mit Farben malen will, verstehst du. Und vielleicht kann ich dort auch endlich meine Modelleisenbahn aufbauen. Das wird ihm bestimmt gefallen.
Dann ein Zimmer für mich und für uns beide ein Arbeitszimmer und den letzten Raum hinten könnten wir als Gästezimmer…«
»Rainer!«
Er sah sie irritiert an. »Natürlich kann ich auch nach oben…«
»Darf ich jetzt etwas sagen?«
»Klar, aber ich dachte…«
Elke schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Halt endlich die Klappe!«
Rainer schwieg beleidigt.
»Erstens: Wenn ich überhaupt mit dir zusammenziehe, suchen wir uns das Haus oder die Wohnung gemeinsam aus, hast du verstanden?«
Er nickte. Das Wort ›wenn‹ in Verbindung mit dem
›überhaupt‹ ließ nichts
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