Zweyer, Jan - Rainer
Cengiz. »Zumindest wolltest du das.«
»Ich habe es mir anders überlegt.«
»Kann ich verstehen. Im Gegensatz zu dir denkt sie nach, bevor sie Entscheidungen trifft.«
Rainer setzte sich wieder. »Das habe ich überhört. Also, her mit den Papieren.«
»Nein!«
»Wieso ›nein‹? Ich habe dir doch erzählt, was du wissen wolltest.«
»Eben. Deshalb bleibt es auch beim Nein!«
»Und warum?«
»Du hast mich nicht überzeugt.«
Der Anwalt goss Wein nach, atmete tief ein und sagte schließlich: »Na gut. Aber was ich dir jetzt erzähle, fällt unter die anwaltliche Schweigepflicht. Ich mache mich strafbar, wenn ich darüber rede. Aber weil du mein Freund bist…«
»… und du die Unterlagen haben möchtest…«
»… und dir vertraue, du mir aber diesen kleinen Freundschaftsdienst verweigern willst, setze ich mich über Recht und Gesetz hinweg und liefere mich dir aus.«
Dann berichtete er Cengiz alle Details vom ersten Besuch Horst Mühlenkamps in seiner Praxis, den Hoffnungen, die dieser gehegt hatte, als er seine Krankheit für überwunden hielt, den Brief an ihn und der Verzweiflung Sabine Schollwegs nach seinem Tod.
»Deshalb muss ich dieser Sache auf den Grund gehen. Mit oder ohne deine Hilfe.«
Cengiz nickte. »Deine Motive kann ich nachvollziehen. Dein Vorhaben nicht. Warum gehst du nicht zur Polizei?«
»Meinst du tatsächlich, die würden nur auf einen so vagen Verdacht hin ermitteln«, fragte Rainer zurück.
»Möglicherweise nicht.«
»Ganz deiner Meinung.«
»Ich habe ›möglicherweise‹ gesagt.«
Rainer ignorierte den Einwand. »Außerdem habe ich bereits Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft beantragt. Aber bis darüber entschieden ist, kann einige Zeit vergehen.« Er streckte erneut seine Hand aus. Nun tat ihm Cengiz den Gefallen.
»Das ist ja irre«, bewunderte Rainer die Papiere, die sein Freund vorbereitet hatte. »Die sehen ja richtig echt aus.«
»Mit einem Scanner, der richtigen Software und einem guten Farbdrucker kein Problem«, erklärte Cengiz. »Du bist dir aber darüber im Klaren, dass wir hier gemeinschaftlich im Begriff sind, Urkundenfälschung zu begehen?«
»§ 267 Strafgesetzbuch. Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Absatz 2: Der Versuch ist strafbar. Was meinst du, mit wem du redest? Schließlich bin ich Anwalt.«
»Schön, dass du mich daran erinnerst. Das war mir glatt entfallen. Wo steht der Rotwein?«
»Küche. Links neben der Spüle.«
Eine Minute später kehrte Cengiz zurück. »Ist es das wirklich wert?«, fragte er nachdenklich.
Ohne zu zögern, antwortete Rainer: »Ja.«
»Warum?«
»Weil das Leben eines Menschen das höchste Rechtsgut ist, ein unveränderliches Menschenrecht, hinter dem alle anderen Rechtsgüter zurückstehen müssen. Wer mordet, muss bestraft werden«, sagte er ernst und fuhr fort: »Alle Rechtsanwälte haben einen Eid geschworen, als Organ der Rechtspflege tätig zu sein.«
»Du willst Recht brechen, um das Recht zu schützen?«
»Lass mich eine Gegenfrage stellen: Ist es Unrecht, jemanden zu verletzen?«
»Natürlich.«
»Was aber ist, wenn ich jemanden, der einen anderen umbringen will, nur dadurch von seiner Tat abhalten kann, dass ich ihm seinerseits Schaden zufüge?«
»Das ist eindeutig Notwehr.«
»Nee. Das heißt Nothilfe. Ist aber egal. Die Verletzung eines Rechtsgutes wird in Kauf genommen, um ein anderes, höherwertiges zu schützen. Nichts anderes habe ich vor.«
»Aber Mühlenkamp ist bereits tot.«
»Stimmt. Doch wenn sich meine Vermutung als richtig erweist – woher weißt du, dass er das letzte Opfer ist?«
Cengiz dachte nach. »Das ist ein Argument. Und wer entscheidet, wann eine solche Rechtsverletzung zulässig ist.
Du?«
Rainer nahm einen weiteren Schluck vom Riesling und lächelte. »Warum nicht?«
»Ein bisschen Gott spielen?«
»Quatsch, höchstens Oberlandesgerichtspräsident.«
»Und wie hast du dir das Weitere nun vorgestellt?«
»Wir überlegen uns einen schönen Namen für mich und den setzt du in allen Schriftstücken ein. Dann schicke ich FürLeben einen Brief und warte auf Antwort.«
»Klasse Plan. Wie möchtest du heißen?«
»Egal. Helmut Kohl vielleicht?«
»Sehr witzig.«
»Dann eben Jörg Deidesheim.«
»Wie kommst du denn darauf?«
Rainer hielt Cengiz die
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