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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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willst du hier?«
    »Nichts«, erwiderte ich. »Ich... ich möchte nur mit dir den Platz tauschen. Diese Ausstrahlungen... überall um mich herum... Wohin ich auch schaue, sehe ich... seltsame und schreckliche Schatten, die nicht real sind, Schatten künftigen Todes, zukünftiger Zerstörung... Ich glaube, ich sollte in diesem Zustand nicht am Steuer sitzen.«
    »Die Stadt hat doch früher nicht so auf dich gewirkt.«
    »Doch. Als ich das erstemal herkam, mit Luke und Jelly.
    Allerdings nicht so schlimm wie jetzt. Und ich bekam mich schnell wieder unter Kontrolle. Ich werde mich zweifellos auch diesmal bald daran gewöhnen. Aber im Augenblick fühle ich mich... sehr mitgenommen.«
    Rya rutschte ans Steuer, und ich stieg aus und ging mit weichen Knien um den Wagen herum. Die Luft war bitterkalt; es roch nach Öl, Kohlenstaub, Benzindämpfen, gebratenem Fleisch aus der Imbißstube und — darauf hätte ich schwören können — nach Schwefel. Ich nahm auf dem Beifahrersitz Platz, und Rya ordnete sich geschickt wieder in den Verkehr ein.
    »Wohin?« fragte sie.
    »Fahr durch die Stadtmitte zu den Außenbezirken.«
    »Und dann?«
    »Such ein ruhiges Motel.«
    Ich konnte mir nicht so recht erklären, warum die Stadt mich jetzt viel stärker erschütterte als im Vorjahr, obwohl mir einige mögliche Gründe einfielen. Vielleicht hatten meine übersinnlichen Kräfte zugenommen, und meine parapsychologischen Wahrnehmungen wurden dadurch intensiviert. Oder vielleicht hatten Leid und Schrecken in dieser Stadt seit meinem letzten Besuch um ein Vielfaches zugenommen. Oder vielleicht hatte ich mehr Angst, an diesen dämonischen Ort zurückzukehren, als mir bewußt war, und vielleicht war ich in diesem überreizten Zustand besonders empfänglich für die dunkle Energie und die vagen, aber nichtsdestotrotz gräßlichen Signale, die von Gebäuden, Autos, Menschen und Gegenständen aller Art ausgingen. Oder vielleicht spürte ich mit den Spezialantennen meiner Zwielicht-Augen, daß entweder Rya oder ich — oder beide — hier sterben würde; falls diese hellseherische Botschaft aber in mein Bewußtsein zu dringen versuchte, so war ich offenbar emotional außerstande, sie zu lesen und zu akzeptieren. Ich konnte sie mir vorstellen, aber ich brachte es nicht über mich, die Einzelheiten eines so sinnlosen und entsetzlichen Schicksals zu ›sehen‹.
    Als wir uns dem zweistöckigen Ziegelgebäude näherten, in dem bei dem Feuer sieben Schulkinder verbrannt waren, sah ich, daß der beschädigte Flügel seit vorigem Sommer wieder aufgebaut worden war. Der normale Schulbetrieb war offenbar wieder im Gange, denn ich konnte an einigen Fenstern Kinder sehen.
    Wie im Vorjahr, so löste sich auch jetzt eine riesige Welle hellseherischer Impressionen von den Mauern des Gebäudes und rollte mit vernichtender Wucht auf mich zu — eine ›nur‹ okkulte Substanz, die für mich jedoch genauso real war wie eine mörderische Sturzwelle. Hier konnte man menschliches Leiden, menschliche Qualen und Todesängste fast wie die Meerestiefe messen: zehn Faden, hundert, tausend, viele tausend... Eine feine kalte Gischt eilte der mörderischen Welle voraus: Unzusammenhängende Bildfetzen trafen meinen Geist. Ich sah Wände und Decken in Flammen stehen... Fenster zu zehntausend tödlichen Splittern explodieren... entsetzte Kinder in brennenden Kleidern... eine schreiende Lehrerin mit brennenden Haaren.... die in eine Ecke zusammengesackte Leiche eines Lehrers...
    Als ich die Schule zuletzt gesehen hatte, waren Visionen sowohl des bereits erloschenen Feuers als auch des zukünftigen, noch schlimmeren Brandes über mich hereingebrochen. Aber diesmal sah ich nur dieses zukünftige Feuer, vielleicht weil es jetzt zeitlich näher lag als das vergangene. Die übersinnlichen Bilder waren viel klarer und lebendiger als alle andere Visionen, die ich je gehabt hatte; sie brannten sich wie Säure in mein Gedächtnis und meine Seele ein: Kinder in Todesangst; grinsende Totenschädel; gähnende schwarze Augenhöhlen, die Augen von hungrigen Flammen verzehrt.
    »Was ist los?« fragte Rya besorgt.
    Ich bemerkte, daß ich keuchte und wie Espenlaub zitterte.
    »Slim?«
    Sie verlangsamte das Tempo.
    »Fahr weiter«, zischte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Dann spürte ich die Schmerzen der sterbenden Kinder und schrie auf.
    »Was fehlt dir?« fragte Rya.
    »Visionen.«
    »Welcher Art?«
    »Um Gottes willen... fahr... weiter...«
    »Aber...«
    »Schnell... weg von der

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