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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Schule!«
    Um diese Worte auszustoßen, hatte ich aus der Säuregischt psychischer Strahlung auftauchen müssen, was fast so schwierig war, wie sich durch reale erstickende Giftdämpfe durchzukämpfen. Jetzt wurde ich in jenen Strudel unerwünschter Bilder zurückgerissen, die mir die unvorstellbar grausame und tragische Zukunft der Yontsdowner Schule in blutigen Einzelheiten zeigten.
    Ich schloß die Augen, aber dadurch nahm die Anzahl der Visionen nur unwesentlich ab, und ihre Intensität blieb völlig unverändert. Die Hauptwelle der psychischen Strahlung türmte sich jetzt über mir und drohte über mir zusammenzuschlagen; ich war das Ufer, an dem diese gigantische Welle sich brechen würde, und danach würde die Küstenlinie vielleicht nicht wiederzuerkennen sein. Ich hatte wahnsinnige Angst, daß ein völliges Untertauchen in diesen alptraumhaften Visionen mich emotional und geistig zerschmettern, ja mich in den Wahnsinn treiben könnte. Deshalb schützte ich mich auf die gleiche Weise wie im vergangenen Sommer. Ich ballte die Hände zu Fäusten, biß die Zähne zusammen, senkte den Kopf und zwang mich mit ungeheurem Willensaufwand, an schöne Erinnerungen zu denken: Ryas Liebe zu mir, die ich in ihren klaren Augen lesen konnte; Ryas herrliche Gesichtszüge; ihr perfekter Körper; unsere unvergleichlichen Liebesakte; der Genuß, den es mir bereitete, auch nur ihre Hand zu halten oder neben ihr zu sitzen und stundenlang fernzusehen...
    Die Welle stürzte auf mich nieder.
    Ich klammerte mich an den Gedanken an Rya fest.
    Die Welle traf mich — O Gott! — mit verheerender Wucht.
    Ich schrie auf.
    »Slim!« rief eine ferne Stimme angsterfüllt.
    Ich war auf dem Sitz zusammengesunken. Ich war zerschmettert, zertrümmert, zermalmt.
    »Slim!«
    Rya... Rya... meine einzige Rettung...
    Ich war dort, in der brennenden Schule, zwischen den sterbenden Kindern, überwältigt von Visionen entsetzter Augen, in denen sich flackernde Rammen spiegelten... Rauch, dichte Rauchschwaden, die durch den heißen, einbrechenden Fußboden drangen... ich roch ihre brennenden Haare, ich wich herabstürzenden Deckenteilen aus... ich hörte die grauenhaften gellenden Schreie, die sich zu einer höllischen Musik verwoben, einer Musik, die mir trotz der Feuerglut das Blut in den Adern gefrieren ließ... und diese armen Seelen taumelten an mir vorbei — Lehrer und Kinder in panischer Angst—, den Ausgängen zu, aber unerklärlicherweise waren die Türen verschlossen, und jetzt, lieber Gott, jetzt standen Dutzende von Kindern schlagartig in hellen Flammen. Ich rannte zu einem hin, versuchte die Flammen zu ersticken und es irgendwie aus diesem Inferno hinauszuschaffen, aber ich war wie ein Geist an diesem Ort, das Feuer vermochte mir nichts anzuhaben, aber ich konnte auch nicht ins Geschehen eingreifen, und meine Geisterhände griffen durch den brennenden Jungen hindurch, ins Leere, und ebenso erging es mir bei dem Mädchen, das ich als nächstes zu retten versuchte, und als seine Schreie noch lauter wurden, begann auch ich zu schreien, ich quiekte und bellte vor Zorn und Schmerz, ich weinte und fluchte, und schließlich stürzte ich aus dem Inferno in die Dunkelheit, in unendliche Tiefe und in Grabesstille...
     
    Empor.
    Langsam empor. Ins Licht.
    Grau, verschwommen. Mysteriöse Schatten.
    Dann klärte sich mein Blick.
    Ich lehnte zusammengesunken auf dem Beifahrersitz, von kaltem Schweiß bedeckt. Der Kombiwagen stand.
    Ryas kühle Hand lag auf meiner Stirn, und sie beugte sich über mich. In ihren Augen spiegelten sich verschiedene Gefühle: Furcht, Neugier, Mitgefühl, Liebe.
    Ich richtete mich etwas auf, und sie nahm die Hand von meiner Stirn. Ich fühlte mich schwach und ziemlich durcheinander.
    Rya hatte auf dem Parkplatz eines Acme-Supermarkts angehalten. Einige Kunden schlurften oder trippelten vorsichtig über das stellenweise glatte Pflaster. Ihre Haare, Mäntel und Schals flatterten im Wind, der während meiner Ohnmacht stärker geworden war. Einige schoben Einkaufswagen vor sich her, nicht nur um ihre Waren zum PKW zu transportieren, sondern auch, um sich daran festzuhalten.
    »Erzähl mir alles«, sagte Rya.
    Mein Mund war trocken, und ich hatte das Gefühl, als wäre er voll bitterer Asche von dem katastrophalen Brand, der noch gar nicht stattgefunden hatte. Meine Zunge fühlte sich dick an und klebte am Gaumen. Trotzdem berichtete ich Rya — leicht nuschelnd und mit tonloser Stimme — von dem Inferno, dem eines Tages so

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