Zwielicht
Speer in den Bauch des Trolls, der diesmal vor Schmerz ein rasselndes Schnauben ausstieß.
Er packte den Speer mit beiden Pranken, und Rya ließ ihre Waffe los. Während der Unhold rückwärts stolperte und vergeblich versuchte, den Schaft aus seinen Eingeweiden herauszuziehen, kam ich wieder auf die Beine und stürzte auf das verhaßte Wesen zu.
Ich umklammerte das andere Ende des Werkzeugs. Dem alten Feind war sein Alter jetzt wirklich anzusehen. Er stierte mich aus mörderischen Augen an, die sich langsam trübten, und versuchte mit seinen Krallen nach meinen Händen zu schlagen. Bevor er mir die Haut zerfetzen konnte, riß ich den Behelfsspeer aus seinem Leib heraus und prügelte methodisch auf ihn ein, bis er in die Knie ging und dann mit dem Gesicht nach unten zusammenbrach. Ich schlug weiter zu, bis ich keine Kraft mehr hatte, die Waffe zu schwingen.
Mein Keuchen hallte von den Wänden wider.
Rya versuchte mit einigen Papiertaschentüchern das Blut des Trolls von ihren Händen abzuwischen.
Die Metamorphose des ersten Trolls war fast abgeschlossen gewesen, als der Kampf mit dem zweiten begonnen hatte. Jetzt sah ich, daß es tatsächlich der Polizist war, den wir verfolgt hatten.
Der zweite Troll erwies sich in Menschengestalt als Frau, war etwa im gleichen Alter wie der Bulle.
Vielleicht seine Ehefrau. Oder sein Weibchen.
Dachten sie wirklich in Kategorien von Mann und Frau — oder auch nur von Männchen und Weibchen? Was für Empfindungen hatten sie, wenn sie sich nachts in kalter, reptilartiger Leidenschaft paarten? War es üblich, daß sie zu zweit durchs Leben gingen — und wenn ja, aus welchen Gründen? Gefiel es ihnen, oder diente es nur als Tarnung?
Rya würgte und schien nahe daran, sich zu übergeben, kämpfte aber erfolgreich gegen die Übelkeit an und warf die blutdurchtränkten Papiertücher auf den Boden.
Ich stellte mich auf den Rücken des zweiten toten Trolls — der Frau —, packte mein Messer mit beiden Händen und zog es mühsam heraus.
Ich wischte die Klinge an meiner Jeans ab.
Die nackte Frau auf dem Stuhl zitterte wie Espenlaub. In ihren Augen las ich Entsetzen, Verwirrung und Furcht — Furcht nicht nur vor den toten Trollen, sondern auch vor Rya und mir. Verständlicherweise.
»Wir sind Freunde«, krächzte ich. »Wir sind nicht... wie sie.«
Sie starrte mich an, brachte aber keinen Laut hervor.
»Kümmere dich um sie«, trug ich Rya auf.
Ich wandte mich zur Tür. »Wohin...«
»Ich will nachschauen, ob noch mehr von ihnen im Haus sind.«
»Bestimmt nicht«, sagte Rya. »Andernfalls wären sie inzwischen schon hier.«
»Ich muß trotzdem nachschauen.«
Ich hoffte, daß Rya verstanden hatte, warum ich den Raum verlassen wollte. Sie sollte in meiner Abwesenheit die rothaarige Frau beruhigen und ihr beim Ankleiden helfen, damit die Ärmste sich wenigstens ein wenig fassen konnte und sich vor mir nicht mehr wegen ihrer Blöße zu schämen brauchte, wenn ich ihr einige Erklärungen über die Trolle geben würde.
Im Eßzimmer flüsterte der Wind verschwörerisch, nur um im nächsten Moment am Fenster klagend zu stöhnen.
Im ersten Stock fand ich drei Schlafzimmer und ein Bad. In jedem Raum hörte ich das arthritische Knarren der Dachsparren, wenn der Wind an den Giebeln rüttelte und an den Traufen schnüffelte.
Keine weiteren Trolle.
Im kalten Bad zog ich meine blutdurchtränkten Kleider aus und wusch mich schnell am Waschbecken, wobei ich es vermied, in den Spiegel zu schauen. Trolle zu töten war gerechtfertigt. Ich war mir sicher, daß ich damit keine Sünde beging, und ich befürchtete nicht etwa, Schuld in meinen Augen zu entdecken, wenn ich in den Spiegel schaute. Doch es kam mir so vor, als wären die Dämonen immer schwerer umzubringen, als müßte ich immer mehr Gewalt anwenden, immer brutaler vorgehen. Und nach jeder Bluttat glaubte ich in meinem Blick eine neue Kälte zu sehen, eine Härte, die mich bestürzte und erschreckte.
Der Polizist hatte etwa meine Größe gehabt, und ich holte aus seinem Kleiderschrank ein Hemd und eine Levis. Sie paßten mir wie angegossen.
Als ich wieder ins Erdgeschoß kam, warteten Rya und der Rotschopf im Wohnzimmer auf mich. Sie saßen in Fensternähe in bequemen Sesseln, aber die nervliche Anspannung war ihnen deutlich anzusehen. Von ihrer Position aus überblickten sie die Auffahrt, so daß kein Auto sich ungesehen nähern konnte.
Draußen scheuchte der Wind Schneegespenster vom Boden auf, die in die Dunkelheit
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