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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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einen grotesk knotigen Arm zwischen den Gitterstäben hindurch, so weit wie irgend möglich, öffnete die geballte Faust und begann mit gespreizten Menschen- und Trollfingern die Luft zu kämmen oder — besser gesagt — auszuwringen. Mit spinnenartiger Geschwindigkeit krümmten und wanden sich die Finger: seltsame Bewegungen ohne jeden Sinn.
    »Ich bekomme eine Gänsehaut bei ihrem Anblick«, sagte Rya. »Glaubst du, daß so etwas oft passiert — ein Wurf solcher Mißgeburten? Glaubst du, daß das ein Problem für die Trolle ist?«
    »Vielleicht. Ich weiß es nicht.«
    »Möglicherweise verschlechtert sich ihr genetisches Material von Generation zu Generation. Vielleicht gibt es in jeder neuen Generation mehr solcher Mißgeburten. Schließlich fehlte ihnen ursprünglich die Fähigkeit, sich zu vermehren. Vielleicht verlieren sie diese Fähigkeit sich fortzupflanzen allmählich wieder... durch eine neue Mutation. Ist so etwas möglich? Oder ist das, was wir hier sehen, eine seltene Ausnahme?«
    »Ich weiß es nicht«, wiederholte ich. »Vielleicht hast du recht. Es wäre schön, wenn wir glauben könnten, daß sie langsam aussterben, daß es in einigen hundert Jahren nur noch eine Handvoll Trolle geben wird.«
    »Aber einige hundert Jahre nützen uns nichts«, sagte Cathy Osborn jämmerlich.
    »Genau darin besteht das Problem«, stimmte ich ihr zu. »Es würde Hunderte von Jahren dauern, bis sie aufhören zu existieren. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß sie einfach resignieren. Sie haben soviel Zeit, Pläne zu schmieden, daß sie bestimmt eine Möglichkeit finden werden, die ganze Menschheit mit sich ins Grab zu reißen.«
    Plötzlich zog das kühnste Trolljunge seinen Arm in den Käfig zurück und begann zusammen mit seinen Geschwistern zu heulen. Es war jenes schreckliche Geheul, das wir oben gehört hatten. Die schrillen Töne hallten von den Betonmauern wider, Musik zur Untermalung von Alpträumen, ein monotones Lied des Wahnsinns, wie man es vielleicht auch in Korridoren eines Irrenhauses zu hören bekommt.
    In Verbindung mit dem Gestank nach Fäkalien war dieser Lärm schier unerträglich. Aber ich konnte den Keller nicht verlassen, ohne vorher den Altar betrachtet zu haben.
    Natürlich wußte ich nicht genau, ob es sich tatsächlich um einen Altar handelte; jedenfalls sah das Gebilde so aus. In einer Ecke des Kellers, möglichst weit entfernt von dem Käfig und von der Treppe, stand ein stabiler Tisch mit einer blauen Samtdecke. Zwei ungewöhnliche Öllampen — kupferfarben getönte Glaskugeln mit Dochten, die auf dem Öl schwammen — flankierten eine Art Ikone, die auf einem etwa acht cm hohen, jeweils 30 cm langen und breiten, polierten Steinpodest ruhte. Die Ikone selbst bestand aus gebranntem Ton — ein Rechteck, 20 cm lang, 15 cm breit, zehn cm dick —, und ihre glänzende schwarze Glasur täuschte geheimnisvolle Tiefe vor. In der Mitte des schwarzen Rechtecks befand sich ein weißer Kreis von etwa zehn cm Durchmesser, und dieser Kreis wurde von einem stilisierten schwarzen Blitz in zwei Teile unterteilt.
    Es war das Firmenzeichen der Kohlen-Gesellschaft Blitz, das wir schon auf dem Lastwagen gesehen hatten. Aber daß es hier wie zur Anbetung aufgestellt war, beleuchtet von Ewigen Lichtern, deutete darauf hin, daß es etwas viel Bedeutsameres war als nur ein Firmenzeichen. Es schien eine Art heiliges Symbol zu sein.
    Weißer Himmel, dunkler Blitz.
    Was symbolisierte es?
    Weißer Himmel, dunkler Blitz.
    Die Mißgeburten im Käfig vollführten nach wie vor einen Höllenlärm, aber die Ikone auf dem Altar beschäftigte mich derart, daß ich das schrille Geheul kaum noch wahrnahm.
    Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß eine Spezies wie die Trolle — von Menschenhand und nicht von Gott erschaffen, ihren Schöpfer hassend, ohne jede Ehrfurcht vor ihm — eine Religion entwickelt haben könnten. Falls dies tatsächlich ein Altar war — was beteten sie hier an? Welchen seltsamen Göttern huldigten sie? Und wie? Und weshalb?
    Rya streckte die Hand aus und wollte die Ikone berühren.
    Ich fiel ihr in den Arm.
    »Nicht«, sagte ich.
    »Warum nicht?«
    »Ich weiß auch nicht. Aber... lieber nicht berühren.«
    Weißer Himmel, dunkler Blitz.
    Das Bedürfnis der Trolle nach Göttern, Altären und Ikonen, die spirituelle Glaubensformen bildhaft zum Ausdruck brachten, hatte etwas überraschend Rührendes an sich. Das Vorhandensein einer Religion setzt Zweifel, Demut, die Erkenntnis von

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