Zwielicht
Sprengstoff nicht verschwenden.
Von Zeit zu Zeit sahen wir auch Rohre, die aus Löchern in den Betonwänden auftauchten, einen Raum oder Korridor durchquerten und in gegenüberliegenden Wänden verschwanden. Manchmal war es ein einzelnes Rohr, manchmal sechs parallel verlaufende Rohre mit verschiedenen Durchmessern. Alle waren weiß und für die Wartungsexperten mit Symbolen versehen, die auch uns ohne weiteres verständlich waren: Wasser, Strom, Gas, Dampf... Das waren Schwachpunkte im Zentrum der Festung; viermal hob ich Rya hoch, und sie legte hastig Sprengstoff zwischen die Rohre und versah ihn mit einer Sprengkapsel. Wie zuvor, so stellten wir auch hier die Zeitzünder nicht ein. Das wollten wir erst auf dem Rückweg tun.
Wir bogen in den vierten Tunnel ein und hatten erst wenige Meter zurückgelegt, als plötzlich dicht vor uns eine Tür aufglitt. Ein Troll kam heraus, höchstens zwei Meter von uns entfernt. Er riß seine Schweineaugen weit auf, seine nassen fleischigen Nasenflügel bebten, und er schnappte überrascht nach Luft. Ich wartete natürlich nicht ab, bis er diese Schrecksekunde überwand, sondern sprang vor und schlug ihm den Lauf der Maschinenpistole über den Schädel. Er stürzte zu Boden. Ich drehte die Waffe rasch um und schlug abermals zu, diesmal mit dem schwereren Kolben. Ich traf ihn an der Stirn und wunderte mich, daß sein Schädel nicht zertrümmert wurde. Ich holte wieder zum Schlag aus, aber Rya fiel mir in den Arm. Die glühenden Augen des Trolls wurden trüber, und mit dem vertrauten ekelerregenden Knirschen von Knochen und dem nassen Geräusch zerreißender weicher Gewebe begann er menschliche Gestalt anzunehmen, was bedeutete, daß er entweder tot oder bewußtlos war.
Rya drückte rasch auf den Knopf im Türrahmen, und die Tür schloß sich.
Falls sich im Raum dahinter andere Trolle aufhielten, so hatten sie offenbar nicht bemerkt, was ihrem Artgenossen zugestoßen war, denn niemand kam herausgestürzt, niemand löste Alarm aus.
»Schnell!« flüsterte Rya.
Ich verstand sofort. Das war die Chance, auf die wir gehofft hatten, und eine zweite würde sich uns vielleicht nicht bieten.
Ich schulterte die Maschinenpistole, packte den Unhold bei den Füßen und zog ihn rückwärts in den Tunnel, aus dem wir soeben gekommen waren. Rya öffnete eine Tür, und ich schleppte unser Opfer in eine der Kammern mit Zubehör für hydroponische Kulturen.
Ich tastete nach seinem Puls. »Er lebt«, flüsterte ich.
Das Wesen hatte sich in einen untersetzten Mann mittleren Alters mit Knollennase, dicht zusammenstehenden Augen und buschigem Schnurrbart verwandelt, aber natürlich sah ich unter dieser Tarnung seine wahre Gestalt. Er war nackt, was hier im Hades anscheinend üblich war.
Seine Lider flatterten. Er zuckte.
Rya holte die Spritze hervor, die sie vorhin auf der unteren Ebene für den anderen Troll präpariert hatte. Mit einem Gummischlauch, wie er auch in Krankenhäusern zu diesem Zweck benutzt wird, band ich ihm den Arm ab, bis die Vene über dem Ellbogen hervortrat.
Im messingfarbenen Licht der künstlichen Sonnen, die über den leeren hydroponischen Trögen hingen, sahen wir, daß unser Gefangener die Augen aufschlug, und obwohl sie noch trübe waren, erlangte er sichtlich rasch sein volles Bewußtsein zurück.
»Beeil dich!« flüsterte ich.
Rya injizierte die Droge.
Unser Gefangener wurde steif. Alle Muskeln spannten sich, er riß die Augen weit auf und bleckte die Zähne. Ich befürchtete, daß das Pentothal auf Trolle doch anders wirkte als auf Menschen.
Trotzdem beugte ich mich über ihn, blickte ihm in die Augen, die durch mich hindurchzustarren schienen, und versuchte ihn zu verhören.
»Kannst du mich hören?«
Ein Zischen, das möglicherweise eine Bejahung bedeutete.
»Wie heißt du?«
Der Unhold stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen ein gurgelndes Geräusch aus.
»Wie heißt du?« wiederholte ich.
Diesmal öffnete sich sein Mund, und er gab unverständliche Laute von sich.
»Wie heißt du?« fragte ich noch einmal.
Weitere unverständliche Laute.
»Wie heißt du?«
Diesmal registrierte ich, daß er die gleichen Laute wie eben ausstieß — ein Wort mit vielen Silben. Ich spürte, daß das sein Name war, nicht der Name, den er in der Menschenwelt trug, sondern der Name, unter dem er in der geheimen Welt seiner eigenen Rasse bekannt war.
»Wie lautet dein Menschenname?« fragte ich.
»Tom Tarkenson.«
»Wo wohnst du?«
»Eighth Avenue.«
»In
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