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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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der krasse Unterschied im Benehmen der Leute, je nachdem, ob sie sich vor dem Zelt oder im Innern befanden. Draußen auf der Schaustellerstraße hatten sie noch moralische Bedenken gegen eine Abnormitätenschau gehabt oder zumindest einen leichten Widerwillen verspürt, auch wenn sie letztlich ihrer Neugier nicht widerstehen konnten. Im Zelt hingegen war von dieser zivilisierten Einstellung nichts mehr zu spüren. Vielleicht hatten sie draußen nicht ehrliche Überzeugungen geäußert, sondern nur leere Phrasen gedroschen. Jedenfalls deuteten sie jetzt — nachdem sie bezahlt hatten — lachend und kreischend mit Fingern auf die mißgestalteten Menschen, so als wären diese auch noch taub oder viel zu einfältig, um die Schmähungen verstehen zu können. Manche Burschen rissen geschmacklose Witze; und sogar die anständigsten, die betreten schwiegen, brachten nicht den Mut auf, ihren rohen Gefährten den Mund zu verbieten. Ich selbst nahte mich diesen ›Exponaten‹ mit ähnlicher Ehrfurcht wie den Kunstwerken alter Meister in einem Museum, denn sie illustrieren den Sinn des Lebens mindestens genausogut wie die Gemälde eines Rembrandt, Matisse oder van Gogh. Diese verunstalteten Menschen können ebenso wie große Kunstschöpfungen an unser Herz rühren, uns an unsere Urängste erinnern, eine demütige Bejahung unserer eigenen Lebensbedingungen bewirken und unseren vagen Zorn über die kalte Gleichgültigkeit dieses unvollkommenen Universums in konkrete Bahnen lenken. Keine dieser Empfindungen war den Besuchern anzumerken, obwohl mein Urteil über sie zu hart sein mag. Jedenfalls hatte ich nach kaum zwei Minuten im Zelt den Eindruck, als wären die wahren Mißgeburten jene Leute, die für diese makabre Ausstellung bezahlt hatten.
    Nun, sie bekamen für ihr Geld wirklich etwas geboten. In der ersten Box saß der Indianer Jack mit nacktem Oberkörper, damit man seine beiden zusätzlichen Arme besser sehen konnte, die etwas unterhalb und schräg hinter den normalen kräftigen Armen aus seinem Körper herausgewachsen waren. Sie waren etwas verkrümmt und schwach, aber immerhin hielt er mit diesem Händepaar eine Zeitung, während er seine normalen Hände benutzte, um Erdnüsse zu essen und ein Glas zum Mund zu führen.
    In der nächsten Box war ›Lila, die Tätowierte Dame‹ zu bewundern, die nicht von Geburt an irgendwie abnorm war, sondern sich aus eigenem Entschluß in ein ›Menschenwunder‹ verwandelt hatte. Es folgten ›Flippo, der Robben-Junge‹, Mr. Sechs (sechs Zehen an jedem Fuß, sechs Finger an jeder Hand), der ›Alligator-Mann‹, ›Roberta, die Gummi-Frau‹, ein Albino, der einfach ›Gespenst‹ hieß, und andere Menschen, die — wie der Ausrufer es ausgedrückt hatte — ›zur Erziehung und zum Staunen all jener präsentiert werden, die über einen forschenden Geist und eine gesunde Neugier hinsichtlich der Geheimnisse des Lebens verfügen‹.
    Ich ging langsam von einer Box zur anderen und blieb nur so lange stehen, bis ich entscheiden konnte, ob dies der psychische Magnet war, der mich magisch angezogen und hergeführt hatte.
    Er zerrte noch immer an mir.
    Ich ging weiter durch Shockville.
    Das nächste Menschenwunder rief bei den Besuchern besonders große Resonanz hervor: Miss Gloria Neames, die 750 Pfund wog und als ›fetteste Dame der Welt‹ angepriesen wurde, eine Behauptung, die ich in keiner Hinsicht in Frage stellte, weder in bezug auf ihren Umfang noch in bezug auf das Wörtchen ›Dame‹, denn mein sechster Sinn sagte mir, daß sich unter dem unförmigen Äußeren ein wertvoller und sensibler Mensch verbarg. Sie saß auf einem speziell für sie angefertigten stabilen Stuhl. Es mußte ihr Schwierigkeiten bereiten aufzustehen, geschweige denn zu gehen; den Geräuschen nach zu schließen, mußte sogar das Atmen mühsam sein. Sie war ein Koloß von einer Frau: Der riesige Bauch reichte bis zu den Hängebrüsten hinauf, die ihrerseits so gewaltig waren, daß sie keinem erkennbaren anatomischen Zweck mehr dienten. Ihre Arme wirkten wie halb komische, halb heroische Skulpturen aus riesigen Mengen Schweineschmalz, und das Vier- oder Fünffachkinn reichte fast bis zum Brustbein. Besonders bemerkenswert war jedoch ihr Vollmondgesicht; es strahlte nicht nur die heitere Ruhe einer Buddhastatue aus, sondern war auch unerwartet schön; in den aufgeschwemmten Gesichtszügen war auf erschütternde Weise zu erkennen, wie reizvoll eine schlanke Gloria hätte aussehen können.
    Manche Besucher

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