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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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mochten Gloria, weil sie vor dieser Box ihre Freundinnen und Frauen aufziehen konnten — »Falls du jemals so fett wirst, Baby, solltest du dich beizeiten nach einem Job in einer Abnormitätenschau umschauen, denn bei mir ist dann mit Sicherheit kein Platz mehr für dich« —, wobei sich unter den scherzenden Worten durchaus eine ernste Warnung verbarg. Und die Ehefrauen und Freundinnen — besonders jene, die etwas Übergewicht hatten — mochten Gloria, weil sie sich verglichen mit ihr gertenschlank und attraktiv vorkamen. Neben ihr hätte ja sogar Jelly wie eines jener halb verhungerten asiatischen Kinder ausgesehen, die in den Aufrufen zu Hilfsaktionen abgebildet sind. Und fast allen gefiel es, daß Gloria sich im Gegensatz zu vielen anderen ›Exponaten‹ mit ihnen unterhielt. Sie beantwortete geduldig ihre Fragen, wobei sie impertinente oder indiskrete Fragen einfach überging, ohne selbst verlegen zu werden und ohne die Dummköpfe in Verlegenheit zu bringen.
    Während ich vor der Box der fetten Dame stand, spürte ich deutlich, daß sie eine wichtige Rolle in meinem Leben spielen würde, aber ich wußte auch, daß es nicht Gloria war, die mich nach Shockville gelockt hatte. Jener geheimnisvolle unwiderstehliche Magnetismus war nach wie vor wirksam, und ich ließ mich von ihm noch tiefer ins Zelt ziehen.
    In der zwölften und letzten Box saß Joel Tuck, der Mann mit den Kohlblatt-Ohren, dem Greifer-Mund und den gallengelben Zähnen, das Monster mit der Frankenstein-Stirn und dem dritten Auge, der Riese, der gewiefte Geschäftsmann und Philosoph. Er war in ein Buch vertieft und ignorierte seine Umgebung total, hatte sich aber so plaziert, daß jede scheußliche Einzelheit seines Gesichts deutlich zu sehen war.
    Hier war der Ursprung jener magnetischen Kraft, der ich gefolgt war. Im ersten Moment dachte ich, sie ginge von Joel Tuck selbst aus, und teilweise war das vielleicht tatsächlich der Fall. Doch das war bei weitem nicht alles. In erster Linie ging das Magnetfeld von diesem Ort aus, vom Boden der Box. Zwischen der Seilabsperrung und der Plattform befand sich eine etwa zwei Meter breite freie Fläche, die mit Sägespänen bestreut war. Ich starrte wie gebannt auf diese Stelle, von der eine unheilvolle Hitze ausstrahlte, die nichts mit dem stickigen Augusttag zu tun hatte. Diese Hitze konnte nur ich wahrnehmen. Obwohl sie keinen Geruch verströmte, glich sie irgendwie jenem Dampf, der auf unserer Farm von frisch gedüngten Beeten aufstieg. Sie ließ mich an den Tod denken, an jene Wärme, die durch Verwesung entsteht. Ich wußte nicht, was das zu bedeuten hatte, aber ich fragte mich unwillkürlich, ob ich möglicherweise spürte, daß sich auf dieser Stelle bald ein Grab befinden würde — vielleicht sogar mein eigenes. Und je länger ich diese schaurige Möglichkeit in Betracht zog, desto sicherer war ich mir, daß ich am Rande eines Grabes stand, das sich in naher Zukunft bei finsterer Nacht öffnen würde, um eine blutige Leiche aufzunehmen, und daß...
    »Na, wenn das nicht Carl Slim ist!« rief Joel, der mich endlich bemerkt hatte. »Ach nein, tut mir leid. Nur Slim, so war es doch, nicht wahr? Slim MacKenzie.«
    Ich reagierte mit einem Lächeln auf seine freundliche Neckerei; die okkulte Ausstrahlung vom Boden ließ schnell nach und war gleich darauf überhaupt nicht mehr wahrzunehmen.
    Der Besucherstrom hatte sich vorübergehend verlaufen, und ich war allein mit Joel. »Wie läuft das Geschäft?« erkundigte ich mich.
    »Gut. Es läuft fast immer gut«, erwiderte er, und ich staunte wieder über sein weiches, volles Timbre, das einem Rundfunksprecher, der klassische Musik ansagte, alle Ehre gemacht hätte. »Und wie steht's mit dir? Bekommst du auf dem Rummelplatz all das, was du dir erhofft hast?«
    »Einen Platz zum Schlafen, drei anständige Mahlzeiten pro Tag, mehr als nur ein Taschengeld — ja, das klappt alles bestens.«
    »Anonymität?« fragte er.
    »Auch das, glaube ich.«
    »Zufluchtsort?« gab er mir das nächste Stichwort.
    »Bis jetzt ja.«
    Wie schon bei unserer ersten Begegnung spürte ich auch jetzt das väterliche Wesen dieses seltsamen Mannes, seine Fähigkeit und Bereitschaft, anderen Trost, Rat und Freundschaft zu schenken. Doch wie zuvor spürte ich auch, daß er eine Gefahr, eine Bedrohung für mich darstellte, und ich fragte mich, wie beides zugleich möglich sein konnte. Er war entweder ein potentieller väterlicher Freund oder aber ein Feind. Doch wider alle Vernunft

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