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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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wieder — zuckende Schatten, die vom Boden an die Zeltwand und wieder zurück auf den Boden sprangen. Gleichzeitig war ein leises Stöhnen zu hören, so als hätte eine Gruppe von Gespenstern die erste Kammer betreten und käme langsam, aber sicher auf mich zu.
    Joel Tuck?
    Ich wußte jetzt, daß er den toten Troll weggeschafft und hier beerdigt hatte. Aber ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was ihn dazu bewogen hatte. Wollte er mir helfen, mich verwirren, mir Angst einjagen? Das konnte ich nicht entscheiden. Er konnte ein Freund oder auch ein Feind sein.
    Ich tastete blindlings nach dem Messer, das ich beiseite gelegt hatte.
    Wieder huschten die Schatten vom Boden an die Wand, und wieder waren jene leisen Klagelaute zu hören, doch ich begriff plötzlich, daß draußen ein Wind aufgekommen war, der meiner überreizten Fantasie einen Streich spielte, indem er sausend ins Zelt eindrang und die herabhängenden Glühbirnen tanzen ließ.
    Erleichtert hörte ich auf, nach dem Messer zu suchen, und wandte mich wieder der Leiche zu.
    Ihre Augen waren geöffnet.
    Ich fuhr zusammen, doch dann sah ich, daß es tote Augen waren, die nichts wahrnahmen, überzogen mit einem transparenten milchigen Film, in dem sich das Licht von oben spiegelte. Die Haut des Toten war nach wie vor schlaff, und zwischen den gebleckten Zähnen klebte nach wie vor Erde. Am Hals klaffte die tödliche Messerwunde — obwohl sie nicht so schlimm aussah, wie ich sie in Erinnerung hatte —, und er atmete weder ein noch aus. Er lebte nicht, das stand fest. Das Öffnen der Lider war nichts anderes als ein Muskelkrampf nach dem Tode; so etwas passierte oft und jagte dann jungen Medizinstudenten und unerfahrenen Leichenbestattern einen Mordsschrecken ein. Selbstverständlich, so war es. Aber... andererseits... konnten solche Nervenreaktionen und Muskelkrämpfe auch fast zwei Tage nach dem Tod auftreten? Oder waren diese wunderlichen Reaktionen nur auf die ersten Stunden nach dem Ableben beschränkt? Nun gut, dann waren die Lider vielleicht nur durch das Gewicht der Erde geschlossen geblieben und deshalb jetzt aufgesprungen.
    Die Toten kehren nicht ins Leben zurück.
    Nur Verrückte behaupteten, wandelnde Leichname gesehen zu haben.
    Ich war nicht verrückt.
    Ich war nicht verrückt.
    Ich starrte auf den Toten hinab, und allmählich normalisierte sich mein Puls, und ich konnte auch wieder ruhig atmen.
    So. Das war schon viel besser.
    Ich fragte mich wieder, warum Joel Tuck die Leiche für mich beerdigt hatte und warum er mich mit seinem Wissen nicht zu erpressen versuchte. Aus welchen Gründen hatte er einem Wildfremden geholfen und sich zum Komplizen eines Mörders gemacht? Wußte Joel Tuck etwa, daß ich keinen Menschen ermordet hatte? War es möglich, daß auch er — vielleicht mit seinem dritten Auge — die Trolle sah und deshalb volles Verständnis für meine Tat hatte?
    Wie dem auch immer sein mochte — jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken. Die Nachtwächter konnten auf ihrer Runde jeden Augenblick an Shockville vorbeifahren. Sie würden sehen, daß im Zelt Licht brannte, und obwohl ich jetzt kein unbefugter Eindringling mehr war wie in der vorletzten Nacht, so würden sie doch wissen wollen, was ich in einem Zelt zu suchen hatte, das mir nicht gehörte, in dem ich nicht einmal arbeitete. Und wenn sie gar das Grab oder, noch schlimmer, die Leiche entdeckten, würde die Tatsache, daß ich Schausteller war, mich nicht vor Verhaftung, Prozeß und lebenslänglicher Haft bewahren.
    Ich begann das Grab mit beiden Händen wieder zuzuschütten. Als Erde auf die Hände des Toten rieselte, bewegte sich die eine Hand plötzlich und schleuderte mir einige Erdbrocken ins Gesicht, und die andere Hand zuckte krampfhaft wie eine verwundete Krabbe. Die trüben Augen blinzelten, während ich hinfiel und entsetzt rückwärts kroch, und dann hob die Leiche den Kopf und begann sich aus ihrer offenbar doch nicht letzten Ruhestätte herauszuziehen.
    Das war keine Vision.
    Das war Realität.
    Ich schrie. Kein Laut drang aus meiner Kehle.
    Ich schüttelte heftig den Kopf, leugnete entschieden dieses unmögliche Geschehen. Mir schien, als wäre die Leiche nur deshalb auferstanden, weil ich mir kurz zuvor diese makabre Entwicklung vorgestellt hatte. Irgendwie hatten meine absurden Gedanken bewirkt, daß aus dem Alptraum Realität wurde, so als wäre meine Fantasie ein Geist, der meine schlimmsten Ängste für Wünsche gehalten und diese erfüllt

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