Zwielicht
Stimmung...«
»Doch.«
»Ich kann nicht...«
»Du kannst.«
»Nein.«
»Doch.«
»Nein.«
Später lagen wir zufrieden auf den feuchten Laken, und das bernsteinfarbene Licht der Nachttischlampe vergoldete unsere Körper. Das Geräusch des Regens, der aufs abgerundete Dach trommelte und an den Metallwänden unseres Kokons hinabrann, war herrlich beruhigend. Doch ich hatte das Riesenrad und den schrecklichen Abstieg im Sturm nicht vergessen, und nach einer Weile brach ich das Schweigen. »Man könnte fast meinen, du hättest gewollt, daß der Blitz einschlug, während du dort oben hingst.«
Sie sagte nichts.
Meine Finger glitten über ihr Kinn, streichelten sanft ihren zarten Hals und ihren verführerischen Brustansatz. »Du bist schön, intelligent, erfolgreich. Warum gehst du solche Risiken ein?«
Keine Antwort.
»Du hast doch alles, wofür es sich zu leben lohnt.«
Sie schwieg.
Es wäre — zumindest für die Begriffe von Schaustellern — indiskret und taktlos gewesen, sie geradeheraus zu fragen, warum sie Todeswünsche hatte. Aber dieser Benimm-Kodex ließ es durchaus zu, beobachtete Tatsachen zu kommentieren, und ihre selbstmörderischen Neigungen standen für mich inzwischen völlig außer Zweifel. Deshalb fragte ich: »Glaubst du wirklich, daß der Tod etwas... etwas Attraktives an sich hat?« Ohne mich von ihrem anhaltenden Schweigen entmutigen zu lassen, sagte ich: »Ich glaube, ich liebe dich.« Und als auch darauf keine Antwort erfolgte, murmelte ich: »Ich will nicht, daß dir etwas passiert. Ich werde nicht zulassen, daß dir etwas passiert.«
Sie wandte sich mir zu, umarmte mich, vergrub ihr Gesicht in meiner Halsgrube und flüsterte: »Halt mich fest«, was in Anbetracht der Umstände so ziemlich die beste Antwort war, die sie mir überhaupt hätte geben können.
Am Montag morgen regnete es noch immer sehr stark. Dunkle Wolken jagten über den tiefhängenden Himmel, der — wie mir schien — von einer kleinen Trittleiter aus leicht zu berühren gewesen wäre. Der Wetterbericht sagte erst für den Dienstag ein Aufklaren voraus. Um neun Uhr wurde die Eröffnung des Jahrmarkts um 24 Stunden verschoben. Um halb zehn waren überall in Gibtown-auf-Rädern Kartenspiele im Gange; es wurde gestrickt, gelesen, palavert und lamentiert. Um Viertel vor zehn beliefen sich die angeblichen Verluste schon auf astronomische Summen, so daß man fast glauben konnte, jeder Konzessionär und Angestellte hätte es an diesem Tag zum Millionär gebracht, wenn das verräterische Wetter ihn nicht stattdessen völlig ruiniert hätte. Und wenige Minuten vor zehn wurde Jelly Jordan im Kinderkarussell tot aufgefunden.
13 - Eine Eidechse an der Fensterscheibe
Als ich auf dem Rummelplatz ankam, scharten sich etwa hundert Schausteller, von denen ich die meisten noch nicht kannte, um das Karussell. Manche trugen gelbe Regenmäntel mit passenden Mützen, manche trugen schwarze Vinylmäntel und dünne Plastikhauben, Stiefel oder Sandalen, Galoschen oder Straßenschuhe; manche waren barfuß und manche noch in Schlafanzügen, über die sie hastig die erstbesten Mäntel gezogen hatten. Etwa die Hälfte stand unter Regenschirmen, deren Farbenvielfalt dieser Menschenansammlung aber nicht einmal einen Hauch von Fröhlichkeit verleihen konnte. Manche waren, als sie die schreckliche Nachricht erfahren hatten, auch einfach hinausgestürzt, ohne sich irgendwie vor dem Regen zu schützen, und jetzt waren sie naß bis auf die Haut, Elendsgestalten wie aus einem Flüchtlingstreck, der durch ein vom Kriege verwüstetes Land zog.
Ich selbst trug Jeans, ein T-Shirt und Schuhe, die seit dem nächtlichen Abenteuer noch nicht getrocknet waren, und als ich mich der Menge am Karussell näherte, beeindruckte und erschütterte mich am meisten ihr Schweigen. Niemand sprach. Kein einziger! Kein einziges Wort. Der Regen vermischte sich mit ihren Tränen, und in den aschfahlen Gesichtern und eingesunkenen Augen stand tiefer Schmerz geschrieben, aber sie weinten völlig lautlos. Diese Stille bewies, wie sehr sie Jelly Jordan geliebt hatten, wie unausdenkbar sein Tod allen erschien; sie waren wie betäubt, konnten nur stumm dastehen und vergeblich versuchen, sich eine Welt ohne ihn vorzustellen. Später, wenn der erste Schock vorüber sein würde, gäbe es laute Klagen, unkontrolliertes Schluchzen, Hysterie, Gebete und vielleicht auch zornige Fragen an Gott, doch im Augenblick war ihre intensive Trauer ein völliges Vakuum, in dem
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