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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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war sie wieder die alte Rya: kühl und distanziert. Doch selbst wenn sie in Gegenwart anderer so verändert gewesen wäre, wie sie es war, wenn wir allein waren, wäre es ihnen vermutlich nicht aufgefallen. Ein Leichentuch schien über Gibtown-auf-Rädern zu liegen, ein düsteres, erstickendes Tuch der Verzagtheit, gewebt aus der Monotonie des Regens, aus den finanziellen Einbußen durch das schlechte Wetter, hauptsächlich aber aus der Tatsache, daß Jelly Jordan erst seit einem Tag tot war. Die Tragödie seines Todes stand ihnen noch immer deutlich vor Augen.
    Nachdem wir den Lorus, den Frazellis und den Catshanks Besuche abgestattet hatten, beschlossen wir, den Tag gemeinsam zu verbringen, nur wir beide, und auf dem Rückweg zu Ryas Airstream faßten wir einen noch wichtigeren Entschluß. Sie blieb plötzlich stehen und packte mich mit beiden regenkalten Händen so fest am Arm, daß der Schirm schwankte. »Slim!« rief sie mit leuchtenden Augen. Ich fragte: »Was gibt's?« Sie sagte: »Komm, wir gehen zu dem Wohnwagen, wo du deinen Schlafplatz hast, packen deine Sachen zusammen und bringen sie zu mir.« Und ich sagte: »Das ist doch nicht dein Ernst«, während ich zu Gott betete, es möge doch ihr Ernst sein. Und sie sagte: »Sag nur nicht, daß du keine Lust hast.« Ich sagte: »Okay, ich werd's nicht sagen.« Mit gerunzelter Stirn sagte sie: »Ich spreche jetzt nicht als dein Boß zu dir.« Und ich sagte: »Das dachte ich mir fast.« Sie sagte: »Ich spreche als dein Mädchen.« Ich sagte: »Ich möchte nur sicher sein, daß du dir das gut überlegt hast.« Sie sagte: »Das habe ich.« Ich sagte: »Mir kam es eher wie ein plötzlicher Einfall vor.« Und sie sagte: »Ich wollte es als plötzlichen Einfall hinstellen, Dummchen. Ich wollte nicht, daß du mich für eine berechnende Frau hältst.« Ich sagte: »Ich möchte sicher sein, daß du nichts Überstürztes tust.« Sie sagte: »Rya Raines tut niemals etwas Überstürztes.« Ich sagte: »Das stimmt vermutlich.« So einfach war das. Eine Viertelstunde später schon lebten wir zusammen.
    Wir verbrachten den Nachmittag mit Plätzchenbacken in der winzigen Küche ihres Wohnwagens, vier Dutzend mit Erdnußbutter und sechs Dutzend mit Schokoladesplittern. Es wurde einer der schönsten Tage meines Lebens. Die Düfte, die mir das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen, das zeremonielle Ablecken des Löffels nach jedem vollen Blech, die Späße und Neckereien, die gemeinsame Arbeit — das alles rief mir ähnliche Nachmittage in der Küche meines Elternhauses in Erinnerung, mit meiner Mutter und meinen Schwestern. Aber dies hier war sogar noch schöner. Jene Nachmittage in Oregon hatte ich genossen, aber nicht richtig zu schätzen gewußt, denn damals war ich noch zu jung gewesen, um zu begreifen, daß ich goldene Stunden erlebte, zu jung auch, um zu begreifen, daß alles einmal ein Ende hat. Nun aber befand ich mich nicht mehr in dem kindlichen Irrtum von Beständigkeit und Unsterblichkeit, und außerdem hatte ich in den vergangenen Monaten geglaubt, daß mir die einfachen Freuden eines normalen häuslichen Lebens nie wieder vergönnt sein würden. Deshalb kamen mir diese Stunden in Ryas Küche so herrlich vor, daß ich eine unbeschreibliche Freude im Herzen verspürte.
    Auch das Abendessen bereiteten wir gemeinsam zu, und nach dem Essen hörten wir Musik im Radio: den WBZ in Boston, den KDKA in Pittsburgh, Dick Biondi, der in Chicago alberne Sprüche von sich gab. Es wurden die Hits jener Zeit gespielt: ›He's so Fine‹ von den Chiffons; ›Surfin' USA‹ von den Beach Boys; ›Rhythm of the Rain‹ von den Cascades; ›Up on the Roof‹ von den Drifters; ›Blowin' in the Wind‹ und ›Puff, the Magic Dragon‹ von Peter, Paul and Mary; ›Limbo Rock‹ und ›Sugar Shack‹ und ›Rock Around the Clock‹ und ›My Boyfriend's Back‹; Lieder von Leslie Gore, von den Four Seasons, von Bobby Darin, von den Chantays, von Ray Charles, Little Eva, Dion, Chubby Checker, von den Shirelles, Roy Orbison, Sam Cooke, Bobby Lewis und Elvis, immer wieder Elvis. Und wenn Sie nicht glauben, daß dies ein gutes Musikjahr war, haben Sie es mit absoluter Sicherheit nicht miterlebt.
    An jenem ersten Abend unseres Zusammenlebens schliefen wir nicht miteinander, aber er hätte nicht schöner sein können, wenn wir es getan hätten. Es war ein vollkommener, gelungener Abend. Noch nie waren wir uns so nahe gewesen, nicht einmal während der körperlichen Vereinigung. Obwohl sie mir

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