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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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keine weiteren Geheimnisse anvertraute, und obwohl ich vorgab, nur ein einfacher Vagabund zu sein, der dankbar und verwundert war, daß er ein Heim und einen Menschen zum Liebhaben gefunden hatte, bestand zwischen uns eine ungewöhnliche Vertrautheit, vielleicht weil wir nur in unseren Köpfen, nicht aber in unseren Herzen Geheimnisse voreinander hatten.
    Um elf Uhr abends hörte es auf zu regnen. Das Prasseln ging plötzlich in Plätschern über, dann in vereinzeltes Plopp dicker Regentropfen, und dann störte überhaupt nichts mehr die Stille der Nacht. Während ich am Fenster stand und in die Dunkelheit hinausblickte, kam es mir so vor, als hätte das Unwetter nicht nur die Welt gereinigt, sondern auch aus mir etwas herausgeschwemmt. In Wirklichkeit war es natürlich Rya Raines, die meine Einsamkeit hinweggeschwemmt hatte.
     
    In einer Totenstadt am Hügel, zwischen Alabastergrabsteinen, packte ich sie und schwenkte sie zu mir herum, und in ihren Augen stand wilde Angst geschrieben, und ich war erfüllt von Schmerz und Bedauern, aber trotz dieses Bedauerns schnappte ich nach ihrem bloßen Hals, spürte die zarte Haut unter meinen gefletschten Zähnen...
    Ich riß mich aus dem Schlaf, bevor mein Mund sich mit ihrem Blut füllen konnte. Ich setzte mich aufrecht hin und versteckte mein Gesicht hinter den Händen, so als könnte sie aufwachen und sogar im Dunkeln irgendwie an meinem Gesicht ablesen, was ich ihr in meinem Traum hatte antun wollen.
    Dann spürte ich, daß jemand neben dem Bett stand. Der schreckliche Alptraum hielt mich noch so sehr in seinem Bann, daß ich den Atem anhielt, mir die Hände vom Gesicht riß und sie abwehrend ausstreckte, während ich ans Kopfende zurückwich.
    »Slim?«
    Es war Rya. Sie stand neben dem Bett und blickte auf mich herab, obwohl sie mich im Dunkeln genausowenig sehen konnte wie ich sie. Sie mußte mich beobachtet haben, während ich von ihrem Alptraum heimgesucht wurde — so, wie ich in der Nacht zuvor sie beobachtet hatte.
    »Ach, Rya, du bist's«, sagte ich aufatmend.
    »Was war denn los?« fragte sie.
    »Ein Traum.«
    »Aber was für ein Traum?«
    »Ein schlechter.«
    »Deine Trolle?«
    »Nein.«
    »War es... mein Friedhof?«
    Ich schwieg.
    Sie setzte sich auf die Bettkante.
    Sie wiederholte: »War es der Friedhof?«
    »Ja. Wie bist du darauf gekommen?«
    »Du hast im Schlaf gesprochen.«
    Ich warf einen Blick auf das Leuchtzifferblatt des Weckers. Halb vier.
    »Kam ich in deinem Traum vor?« fragte sie.
    »Ja.«
    Sie gab einen Laut von sich, den ich nicht deuten konnte.
    »Ich verfolgte...«
    »Nein!« fiel sie mir rasch ins Wort. »Erzähl es mir nicht. Ich will nichts weiter davon hören. Es ist völlig bedeutungslos.«
    Doch mir kam es so vor, als verstünde sie diesen gemeinsamen Alptraum viel besser als ich, als wüßte sie genau, was diese unheimliche Übereinstimmung zu bedeuten hatte.
    Ich hielt es allerdings für möglich, daß ich — schlaftrunken und von dem Alptraum mitgenommen, dessen schreckliche Bilder mich noch immer verfolgten — ein Geheimnis wahrzunehmen glaubte, wo überhaupt keins existierte. Sie wollte vielleicht nur deshalb nicht über diese Sache sprechen, weil sie ihr Angst machte — und nicht deshalb, weil ihr die Bedeutung klar wurde.
    Als ich wieder zum Sprechen ansetzte, verschloß sie mir den Mund mit einem Kuß und warf sich in meine Arme. Sie war nie leidenschaftlicher, zärtlicher, hingebungsvoller und einfühlsamer gewesen, doch ich glaubte, daneben etwas Neues zu spüren — eine stille Verzweiflung, so als suchte sie im Liebesakt nicht nur Genuß und Nähe, sondern auch Vergessen, Befreiung von einem ihr unerträglichen Wissen.
     
    Am Mittwochmorgen wurden die Wolken vom Wind auseinandergetrieben, am blauen Himmel schwirrten Krähen, Rotkehlchen, Raben und Blaukehlchen umher, und die Erde dampfte, so als wäre unter der dünnen Kruste des Planeten eine riesige Maschine heißgelaufen. Auf dem Rummelplatz trockneten die Sägespäne in der strahlenden Augustsonne. Überall waren Schausteller am Werk, suchten nach Sturmschäden, polierten Chrom und Messing, befestigten lose Zeltbahnen und unterhielten sich über das ›Geldwetter‹.
    Eine Stunde vor der Öffnung erspähte ich Joel Tuck hinter dem Zelt, das Shockville beherbergte. Er trug Holzfällerstiefel, in die er die Hosenbeine hineingesteckt hatte, und ein kariertes rotes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Er war damit beschäftigt, die Zeltpflöcke tief in die feuchte Erde zu

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