Zwielicht
Zweifel.
Kapitel 9
Der Platz lag am Rand von Brintall und am Fuße der hohen Berge, die sich in beide Richtungen entlang des Horizonts erstreckten.
Ratsmitglied Charivretha zh’Thane stand auf einem Balkon im ersten Stock eines der vielen kleinen Gebäude, die den öffentlichen Versammlungsort säumten, wo immer die Berge nicht waren – jene breite, grüne Wand jenseits der Stadt. Charivrethas Blick galt dem Land hinter der Waldgrenze, dem kalten grauen Gestein und dem azurblauen Himmel Bajors. Wolkenfetzen umspielten die Gipfel, ihr blendendes Weiß war nahezu untrennbar vom Schnee auf den Bergen.
Es gehörte einiges dazu, Charivretha zu beeindrucken. Eine wohltuende Brise, zweifellos oberhalb des nur hundert Kilometer entfernten Ozeans entstanden, fuhr durch ihr Haar, zerrte an ihren wei-
ßen Locken und umschmeichelte ihre Antennen. Der Tag war heiß gewesen. Charivretha wusste, dass der Sommer Bajors südliche He-misphäre beherrschte, hatte sich ihren Aufenthalt daher unangenehmer vorgestellt und entsprechende Kleidung gewählt: Ihr bodenlan-ges, graues Kleid passte zur Farbe ihrer Augen und setzte sich ex-quisit von ihrer himmelblauen Haut ab. Sie hatte erwartet, Tausende von Passanten würden ihren Tag erschweren, doch dann war der Morgen zum Nachmittag geworden, Bajors Sonne hatte sich hinter den hohen Bergen versteckt und die Stadt aus ihren zu sehr wärme-nden Klauen entlassen. Was die heißeste Zeit des Tages hätte werden können, erwies sich nun als wohltuende verlängerte Dämmerung.
»Ich liebe die hiesigen Sommernachmittage«, sagte die Person zu ihrer Rechten, als kommentiere sie die Gedanken des Ratsmitglieds.
Die Frau musste ihre Stimme ein wenig heben, um über die Ge-räusche der Menge gehört zu werden, die den Platz füllte. »Dies ist einer meiner liebsten Orte.«
Charivretha riss sich von den Bergen los und sah zu Asarem Wadeen. Die Vizepremierministerin Bajors blickte auf das Land wie ein junger Chei auf seine Zhavey . Charivretha kannte den Blick. Wenn auch nicht von Thirishar , dachte sie nicht ohne Bitterkeit. Zumindest ist es lange her. »Sie stammen von hier, nicht wahr?«, fragte sie ebenfalls ein wenig lauter.
Asarem hob den Kopf – sie war gut zehn Zentimeter kleiner als das Ratsmitglied – und lächelte. Über einer leichten braunen Hose und einer weißen Bluse trug die Ministerin eine maßgeschneiderte, kastanienbraune Jacke, die ihr bis zu den Knien reichte und bewies, wie treffend sie die sommerlichen Temperaturen der Region einzuschätzen wusste. »Das ist korrekt«, bestätigte sie. »Nun ja, ehrlich gesagt aus einer kleinen Gemeinde weiter nördlich.« Sie deutete nach rechts. »Sie heißt Lecelon. Aber ich betrachte die gesamte Gegend als meine Heimat.«
»Und dennoch leben Sie in der Hauptstadt.« Abermals dachte Charivretha an ihren Chei , der Andor – und seinen Bündnispartnern
– bereits so lange fernblieb.
»Stimmt«, sagte Asarem. »Dort tagen die Kammer der Minister und die Vedek-Versammlung, außerdem arbeite ich viel mit dem Premierminister … Es ergab schlicht mehr Sinn, in Ashalla zu wohnen. Aber ich besuche meine Heimat, wann immer ich kann.«
Selbst damit – einer Stippvisite von Zeit zu Zeit – hätte Charivretha umgehen können. Doch Thirishar, ihr Chei , entzog sich seinen Verpflichtungen ihr, seinen Bündnispartnern und seinem Volk gegenüber schon lange. Nach ihrer letzten Begegnung auf Deep Space 9 vor einigen Wochen hatte sie ernsthaft in Erwägung gezogen, ihren beträchtlichen Einfluss zu nutzen, um die Flotte zu seiner Versetzung zu bewegen – auf einen Posten auf Andor. Die Probleme der Europani und der Bajoraner hatten sie beschäftigt gehalten, seit sie Admiral Akaar hierher begleitet hatte, doch ein oder zwei gezielt adressierte Subraumnachrichten hätten erste Hebel in Bewegung setzen können. Vermutlich hätte sie Akaar nicht einmal damit behelligen müssen – angesichts seines eigenen komplizierten Verhältnis-ses zu seinem Volk war sie unsicher, wie er auf die Thematik reagiert hätte –, kannte sie doch genügend andere Admirals innerhalb der Sternenflotte. Vielleicht wäre es sogar effizienter gewesen, sich gleich an Commander Vaughn zu wenden. Elias hatte sich bereits als Macher erwiesen, ein schnell und gründlich agierender Offizier.
Und Charivretha blieben nur sechs Tage, bis Thirishar an Bord eines Flottenschiffes ging und eine gefährliche Mission antrat, die ihn im Bestfall auf Monate hin beanspruchte.
Doch
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