Zwielicht über Westerland
war ihr egal. Als sie ihn losließ, sah sie, dass seineBaumrinde ihre dunkle Jacke grün gefärbt hatte. Kopfschüttelnd versuchte sie sich abzuklopfen, dann ging sie zur Haustür.
Kaum hatte sie angeklopft, da erschien Matt, um zu öffnen. Er sah frisch und verdammt gut aus. Gut, nicht lecker, sagte sie sich in Gedanken. Seine Haare waren vom Duschen noch nicht ganz trocken und kringelten sich im Nacken. Er war frisch rasiert und trug ein weinrotes Oberhemd zu Jeans. Seine Augen glänzten freundlich und irgendwie unternehmungslustig.
„Schön, dass du da bist“, lächelte er ihr entgegen und trat einen Schritt auf sie zu.
Das reichte schon, ihr Herz fing vor Aufregung wie wild zu schlagen an.
„Find ich auch“, antwortete sie und merkte im gleichen Augenblick, wie dämlich sich das angehört haben musste.
Lachend nahm er ihr die Jacke ab. Er hatte es also für einen Scherz gehalten, das war gut. Plötzlich fand sie es eigentlich auch ganz lustig. Zumindest war damit das Unbehagen der Aufregung verschwunden.
In der Küche hatte Matt den kleinen alten Holztisch gedeckt. Mit Tee, Kaffee und Orangensaft zu Brötchen mit Marmelade, Honig und Käse.
Die Küche war aus Holz mit antiken Gegenständen dekoriert, die sich perfekt ergänzten mit den modernen Haushaltsgeräten. Ihrer Mutter hätte es sicher gefallen, in diesem modernen Haushalt. Alle Böden barrierefrei, einfach zu reinigen, was hatte sich ihre Mutter bloß abgerackert, um Wasser zu erhitzen. Versonnen in die Vergangenheit starrte sie auf die alte Kaffeemühle an der Wand.
Eine ähnliche hatten sie auch besessen, sie hatte es fast vergessen. „Gefällt es dir hier nicht?“, fragte er stirnrunzelnd.
Nicht zu lügen, das hatte sie sich vorgenommen und deswegen antwortete sie: „Doch sehr, ich dachte nur gerade daran, wie sehr sich die Frauen früher abrackern mussten.“
Er lächelte erleichtert und folgte ihrem Blick zur Mühle.
„Okay. Machst du deinen Haushalt alleine, oder lebst du mit jemandem zusammen?“
Das war geschickt von ihm, das musste sie zugeben. Sie erzählte ihm von ihrem Umzug hierher und dass ihr Bruder bald nachkommen würde. Dass sie nicht wusste, wo er auf der Insel abgeblieben war, verschwieg sie lieber.
„Und du, lebst du in den USA alleine?“, fragte sie locker und bettelte in sich hinein: Bitte, bitte sag, dass du solo bist.
Er machte ein Gesicht, als wenn er erst darüber nachdenken musste. „Warte, ich hab es gleich.“
Anscheinend grübelte er über die richtige Wortwahl. Dann lächelte er stolz und die Punkte in dem tiefen Grün seiner Augen schienen zu leuchten.
„Meine Mom sagt immer: 'Gebrannte Männer scheuen das Feuer'.“ Meine Güte, wie süß, ging es ihr durch den Bauch. Ihn sanft korrigierend flüsterte sie: „Kinder.“
„Nein, Kinder hatten wir keine“, schüttelte er den Kopf. Und als er ihren irritierten Blick bemerkte, fügte er hinzu: „Aber ich mag Kinder.“
Sie klärte das Missverständnis nicht auf. Irgendwann einmal, später, wenn sie sich gut genug kannten, was sie hoffte, dann würden sie vielleicht darüber lachen, aber im Moment wäre es irgendwie peinlich.
Darum lächelte sie ihn nur an.
Nach dem Frühstück schlug er ihr vor, spazieren zu gehen. Ganz selbstverständlich bot er ihr am Anfang des Sandweges seinen Arm an.
„Findest du das unmodern?“, wollte er wissen.
„Ja.“ Sie hakte sich trotzdem ein. „Und schön warm.“
Der Wind pfiff ihnen um die Ohren. Altmodisch konnte in Sachen Liebe richtig schön sein, dachte sie. Sie liefen den gleichen Weg entlang, den er ihr vor Wochen gezeigt hatte, als sie nach demMuseum gefragt hatte. Gern hätte sie mit ihm auf der Bank Platz genommen, aber es war einfach zu windig heute. Die Luft war wunderbar und der Blick ging weit über das Meer hinaus, bis auf das Festland. Sie versuchte sich seinem Schritt an zu passen, es war ganz einfach.
Seit dem Anfang ihrer ersten Dekade hatte sich ihr Geruchssinn weiter und weiter verstärkt. Jetzt, wo sie ihm so nah war, versuchte sie, seinen Geruch aufzunehmen, aber der Wind kam ihnen entgegen und trug jeglichen Versuch mit sich fort. Doch sie spürte Matts Wärme, selbst durch die Jacke.
Ein kleiner Schmerz durchdrang sie. Wann war sie das letzte Mal jemandem so nah gewesen, so Seite an Seite, ohne sich an ihm zu bedienen? Und jetzt, wollte sie es jetzt? War sie noch in der Lage, Nähe zu zulassen, nur der Nähe wegen? Die finsteren Gedanken der vorigen Nacht huschten kurz an ihr
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