Zwielicht über Westerland
machen, wenn er sie für eine Spinnerin gehalten hätte? Nein, nein, er hat Angst. Die oben haben alle Angst. Du hättest ihn sehen sollen. Er hat es richtig persönlich genommen. Wir hatten einen Mordskrach.“
„Hast du was mit ihm?“, fragte Vanessa gerade heraus und Sophie war ihr dankbar dafür. Sie lachte und verschluckte sich dabei.
„Nein, aber nett, dass du fragst. Dann kannst du verbreiten, dass ich absolut nichts mit Alex habe. Im Gegenteil, ich bin sogar in jemand anderen verliebt.“
Und als sie es sagte, merkte sie, dass es stimmte. So einfach war es. Sie war verliebt.
Vanessa kam einen Schritt auf sie zu und fasste sie sanft am Oberarm. „Ich freu mich für dich. Matt ist echt nett und er passt zu dir.“
„Woher weißt du, wen ich meine? Ich hab das Gefühl, hier weiß jeder über mich Bescheid, bloß ich nicht. Sag du noch einmal, ich schnüffel herum.“
Ebenfalls lachend umarmte Vanessa sie und zog sie in Richtung des linken Gebäudes. Hinter einem Busch versteckt war eine Tür nur angelehnt. Zitternd vor Aufregung und Kälte huschten sie ins Innere.
Auf dem Boden standen Kerzen, wie Wegweiser und leuchteten in den dunklen Bauch des fremden Gebäudes. Ihre Schritte hallten von den kahlen Wänden wider. Ein merkwürdiger Geruch von Moder und verbrauchter Luft zog durch die Gänge.
Nachdem sie mehrmals abgebogen waren, hielt Vanessa vor einer dicken Doppeltür, an der eine ganze Batterie Teelichter aufgebaut war.
Mit Schwung öffnete sie die Tür. Eine Wolke kalten Zigarettenrauchs schlug ihnen entgegen. Nur langsam gewöhnten sich Sophies Augen an die Umrisse im Dunkeln. Vorn im Raum schien eine Art Bühne zu sein. Vier dicke Kerzen in Einmachgläsern brannten vor einem weinroten Samtvorhang. Jetzt konnte sie alles erkennen, die Sitze, die Gänge. Sie befanden sich in einem Kino. Vor der Bühne standen ungefähr 20 Jugendliche und redeten leise miteinander.
Gregor kam einen Schritt auf sie zu und nahm Sophie an den Schultern, um sie in einen der Klappsitze in der ersten Reihe zu drücken. Danach schwang er sich mit einem Sprung auf die Bühne. Die Stimmen verstummten, alle nahmen ihre Plätze ein. Ein dunkelhaariges Mädchen mit einer alles bestimmenden Zahnspange setzte sich neben Sophie und stellte sich flüsternd als Olli vor.
Sophie gratulierte ihr zum Geburtstag und bedankte sich für die Einladung.
Olli kicherte. „Ich hab keinen Geburtstag und die Einladung war auch nicht von mir.“
Verdutzt sah sie in die Augen über der Zahnspange.
„Aber Gregor hat doch gesagt…“, versucht sie zu erklären.
„Dann hat Gregor dich eben angelogen“, zuckte Olli die Achseln und zog gleichgültig die Füße auf ihren Sitz.
Gregor gab irgendjemandem im hinteren Teil des Kinos ein Zeichen und sofort ging ein Spotlicht erst auf seine Füße, dann auf seinen ganzen Körper.
„Liebe Sylter, liebe Amrumer und Föhrer. Ich grüße euch.“
Er führte seine Finger zum Hals und verbeugte sich.
„Wir wollen heute zwei neue Inselbewohner begrüßen und in unseren Kreis aufnehmen. Die eine ist schon länger hier, der andere heute erst angekommen, aber ihr kennt ihn alle von seinen ausgiebigen Besuchen. Begrüßt sie in ihrer neuen Dekade.“
Alles lachte und pfiff.
„Sophie, komm her.“ Er winkte sie auf die Bühne.
Unsicher wankte sie auf ihn zu und fragte sich, wie sie dort hochkommen sollte, aber er zeigte auf eine Treppe am Ende der Bühne. Vorsichtig ging sie auf ihn zu. Was hatte das alles zu bedeuten? Die Meute pfiff und johlte, als sie bei ihm anlangte.
Gregor gab ein kurzes Handzeichen und alle verstummten.
„Hier ist deine Überraschung, Sophie.“
Langsam öffnete sich der schwere Vorhang, wie von Geisterhand. Der Spot war nicht richtig platziert und so sah Sophie nur ein Paar ausgelatschte Turnschuh, Jeans und ein T-Shirt auf dem stand: Ich will doch nur spielen. Eine vor Blut tropfende Fledermaus flog über den Schriftzug hinweg. Sein Gesicht war nicht zu sehen.
Doch sie erkannte ihren Bruder auch so.
7. Kapitel
Mein Wort
Es wurde vorausgesetzt, dass sie sich freute. Das war bei Überraschungen so üblich. Ihr Bruder war nach Sylt umgesiedelt worden, und leibliche Verwandte zählten bei ihresgleichen noch etwas. Es gab eine Willkommensparty für sie beide und ein großer neuer Freundeskreis wartete nur darauf, sie in die Mitte nehmen zu dürfen.
Sophie stand da und versuchte, dem Film zu folgen, der um sie herum ablief. Sie fühlte sich eher als Zuschauerin,
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