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Zwielicht über Westerland

Zwielicht über Westerland

Titel: Zwielicht über Westerland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lindwegen
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Interview zu geben. Aber er will uns nur anklagen in seinem Schmierblatt. Wirft uns vor, unsere Forschungen auf dem Unglück anderer aufzubauen. Er behauptet, wir wollen nicht Leben, sondern Leiden verlängern. Dabei will er nur eine große Story bringen für seine Karriere. Ich hatte bereits ein Telefongespräch mit ihm. Wenn ich bloß wüsste, woher er von unseren Forschungen weiß.“
    Matt fasste sich in den Nacken und strich sich die Nackenhaare nach oben.
    „Der Typ heißt Pellgren, oder so ähnlich. Hat versucht, sich in die Klinik einzuschleichen. Sagt, wir sind für das Schicksal einer Betroffenen verantwortlich. Angeblich hat unsere Forschung sie in den Freitod getrieben. Warum, will er uns erst sagen, wenn ihm Ergebnisse vorliegen. Ansonsten will er es an die große Glocke hängen. Das Verrückte ist, wir wissen gar nicht was er meint. Total krank, der Mann.“
    Einen Wimpernschlag lang dachte Sophie darüber nach, was sie ihm erzählen konnte und was besser nicht. Doch er war zu erregt, um es zu bemerken.
    „Vielleicht wird er auf dich zukommen, wenn ich fort bin. Er hat dich gesehen. Wirst du mit ihm fertig? Es tut mir so leid, Sophie.“ „Du gehst weg? Wann denn?“ Sie hatte es geahnt, aber nicht so schnell damit gerechnet. Gerade jetzt, wo sie sich näher gekommen waren.
    „Ich muss zurück, muss versuchen, Unterstützung für unsere Forschung zu bekommen. Wir haben eine wichtige Entdeckung gemacht, mehr kann ich nicht sagen. Allein schon, damit Pellgren dich in Ruhe lässt.“
    „Wann, Matt?“
    Er wich ihrem Blick aus und sprach in Richtung seiner sich knetenden Hände.
    „Heute noch.“
    Es war also ein Abschiedsfrühstück gewesen. Vielleicht hatte er sogar noch etwas von ihr gewollt und sich dann dankend aus dem Staub machen wollen. Nein, das war Quatsch, schalt sie sich. Das hätte er lange tun können. Langsam stand sie auf und nahm im Flur ihre Jacke vom Haken.
    Er ließ es sich nicht ausreden, sie mit dem Auto bis Westerland zu bringen. Sie parkten im Zentrum, was jetzt im Herbst wieder möglich war.
    Schweigend liefen sie die Promenade entlang. Der Wind zerrte dermaßen an ihren Jacken, sodass sie schließlich den Weg hinter den Dünen wählten. Als sie bei der Himmelsleiter, dem hohen Überweg zum Strand, ankamen, blieb er stehen.
    „Bitte Sophie. Versprich mir, gut auf dich aufzupassen.“
    Sie lächelte tapfer.
    „Mach dir keine Sorgen. Ich komm gut klar, ich bin die letzten hundert Jahre ohne dich ausgekommen.“
    Jetzt lächelte er auch. Für einen kleinen Moment hörte der Wind auf, sie zu schütteln. Sie standen sich ganz dicht gegenüber. Wärme durchflutete ihren ganzen Körper, als er seine rechte Hand auf ihre Wange legte.
    „Ich komme bald wieder.“
    Jetzt zerrte eine Böe an ihrer Kapuze. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    „Sag das nicht.“ Sie schüttelte den Kopf. „Sag es nicht. Wenn sie dir nun kein Geld mehr für die Forschung geben, dann….“
    Das Grün seiner Augen war dunkel geworden. Er legte nun auch die linke Hand an ihre Wange.
    „Ich komme bald wieder. Mit oder ohne Auftrag komme ich zu dir, Sophie.“
    Sie konnte nicht antworten. Mit jedem Wort, das sie gesagt hätte, hatte sie Angst, das letzte bisschen Haltung zu verlieren. Ihre Knie zitterten.
    Es war nur ein Hauch von einem Kuss, den er ihr gab. Ein Kuss, der nichts erwartete, nichts verlangte, sie aber auch zu nichts verpflichtete. Ein zarter Abschiedskuss. Dann ließ er ihr Gesicht los und drehte sich um. Den Rest des Weges sollte sie alleine gehen.
    Heiße Tränen rollten über ihre eiskalten Wangen, als sie ihm nachschaute.
    Es war für die Passanten nicht zu verstehen, aber sie begriff sofort, was er meinte, als er sich nach ein paar Metern noch einmal umdrehte und rief: „Nimm mein Wort.“

8. Kapitel
Gedenk der Toten
    Auf Sylt gab es keine lange Zeit des Wandels. Der Herbst dauerte nur solange bis der nächste Sturm die bunten Blätter von den Ästen riss. In diesem Jahr schien es nur Stunden gedauert zu haben, dann war alles kahl und farblos. Das war sicher auch der Grund, warum es den Einheimischen vorkam, als würde der Winter auf ihrer Insel länger dauern als anderswo.
    Radfahren war jetzt im November der reinste Kraftakt. Sophie konnte fahren wohin sie wollte, der Wind kam immer von vorn. Was die Herbst-Winter-Touristen als nordisch, herb und Natur pur beschrieben, ging ihr nach einigen Wochen einfach nur auf die Nerven. Dazu kam die Dunkelheit, die sich schon gegen 16 Uhr

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