Zwielicht über Westerland
Vanessa hätte einen Autounfall gehabt und aufgrund einer Wirbelsäulenverletzung um sofortige Auflösung des Vertrages gebeten. Die Verwaltung willigte sofort ein, denn Kranke und Angeschlagene waren als Patienten herzlich willkommen, aber als Personal nicht erbeten.
Die Klinik, in der Jan arbeitete, ließ ihn allerdings nicht so schnell gehen. Sie erwarteten, dass Jan bis zum Dienstbeginn des neuen Assistenzarztes seinen Posten bezog, was durchaus verständlich war. Seine letzten Tage auf der Insel wollte er bei seiner Schwester oder im Bereitschaftszimmer übernachten, je nach Dienstplan. Danach würde er mit Vanessa eine kleine Wohnung über einem Café in Würzburg beziehen, welches Vanessa von Ruth übernehmen konnte. Ruth war eine der ihren, die nach drei Dekaden endgültig umsiedeln sollte. Es waren noch einige Wochen Zeit bis zurNeueröffnung, worüber sich besonders Jan sehr freute, denn Vanessa brauchte erst einmal Ruhe. Auch, wenn sie darauf brannte, frischen Wind in das Café zu bringen und eine neue Aufgabe zu haben. In erster Linie ging es allerdings darum, ein wenig Gras über die Sache wachsen zu lassen. Wenn sie erst im neuen Zuhause ansässig waren, wollten sie Alex die ganze Geschichte erzählen. Er hatte nicht kommen können, da sich seine Termine in München länger hinzogen, als er gedacht hatte. Jedoch hatte er ihnen, ohne weitere Erklärungen einzufordern, alle nur machbaren Wünsche erfüllt. Sogar einen Angestellten des Umsiedlungsbüros hatte er geschickt, der sämtliche Papiere mitbrachte. Gregor bekam einen Arbeitsvertrag als Restaurator und einen Mietvertrag für eine Wohnung in Annas Nähe. Diese Umstände machten aus ihm ein wahres Energiebündel.
Es war für alle ein Neuanfang, der jedem etwas anderes bringen sollte. Wieder einmal würden sie ohne die Hilfe der Gemeinschaft nicht auskommen, dass wussten sie. Auch wenn sie oft über die Vorgaben und Gesetzte schimpften, war ihnen trotzdem klar, dass der Clan sie trug und beschützte. Sophie hoffte nur, die Erwartungen der drei würden erfüllt werden und sie schämte sich ein wenig für ihre Traurigkeit und die Angst vor der Einsamkeit. Aber nur ein wenig, denn es war ihr egal, ob es egoistisch war im Angesicht der freudigen drei, den Kopf hängen zu lassen. Sie hatte das verdammte Alleinsein einfach satt. Obwohl sie kein großer Weihnachtsfan war, kam es ihr vom Schicksal besonders gemein vor, sie in der Adventszeit zu trennen.
Ein ganz besonderes Unbehagen bereitete ihr die Bekanntgabe der betrieblichen Weihnachtsfeiern. Die Küche veranstaltete zusammen mit der Technik eine eigene Feier. Die Bäderabteilung feierte zusammen mit dem Pflegepersonal, was den Vorteil hatte, dass die Küche sie bekochen konnte.
Sophie kniff die Augen fest zusammen und stand flehend vor dem Plakat mit dem Termin und dem Ablauf der Feier. Sie war extra aneinem ihrer freien Tage in die Klinik gekommen, um eventuell mit Roswita den Dienstplan zu tauschen.
„Bitte, bitte, liebes Schicksal, lass mich Dienst machen.“ Sie riss die Augen auf und starrte auf das Datum der Feier. Es war einer ihrer freien Tage. Stöhnend hoffte sie darauf, das Roswita gnädiger als das Schicksal war.
„Rosi, komm sei nicht so. Bitte tausche mit mir. Ich bin nicht für solche Feiern gemacht.“
„Kannst du vergessen. Weißt du, wie stramm mein Dienstplan zu Hause ist? Drei Kinder heißt gleich drei Weihnachtsfeiern in Schule und Kindergarten, dazu noch die Feiern vom Kinderturnen und vom Heim, in dem Oma wohnt. Ich sag dir, so viel Besinnlichkeit ist kaum zu schaffen.“ Sie lachte laut und war mit dem Thema durch.
Natürlich hätte Sophie sich krank melden können, aber das war nun wirklich zu albern, außerdem hatte sie am darauf folgenden Tag Dienst und wollte nicht, dass jemand vom Tagdienst einspringen musste. In der Vorweihnachtszeit hatten alle genug zu tun, außer sie selbst.
Das Plakat kündigte den Besuch eines Weihnachtsmannes an, ebenso wie ein deftiges Grünkohlessen. Was immer ein nettes Zusammensein sein konnte, es würde stattfinden und Sophie hoffte, dass es nicht zu einer Veranstaltung mit Gedichteaufsagen oder Weihnachtsliedersingen mutieren würde. Der extra farbig unterstrichene Abschlusssatz des Textes forderte gute Laune und ein Weihnachtspäckchen bis fünf Euro ein. Damit war der Tag für sie gelaufen.
Die Zivis hatten ein zweites kleines Plakat an den Rand geheftet, auf dem ein anschließender Besuch bei
Frieda
angeboten wurde.
Frieda
war
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