Zwielicht über Westerland
um sie zu ärgern.
„Nimm die Füße runter. Der arme Kevin, ich muss ihm auch mal was Gutes tun. Er hat mir oft geholfen, seit ich hier wohne.“
„Schlaf mit ihm, ich glaube, er ist verliebt in dich.“
Sie nahm ein Sofakissen und schleuderte es an seinen Kopf.
„Sind wir heute wieder witzig, was? Pass auf, was du sagst, vor allem, wenn Alex da ist.“
„Stell du dich nicht immer so an wegen Alex. Manchmal solltest du ihm mehr Respekt entgegen bringen, bei allem was er für uns getan hat.“
„Ach ja, dann fang du mal an mit dem Respekt und verschweig ihm nicht, dass du schon lange vor der Umsiedlung hier warst.“
Was zwanzig nervige Patienten in einer Nacht nicht schafften, brachte ihr Bruder in dreißig Sekunden fertig. Sophie war gereizt, besonders bei dem Thema Alex. Ein kurzer Blick auf ihren Bruder genügte und sie erkannte, dass er nicht recht wusste, was er ihr entgegenbringen sollte. Sicher würde er gleich irgendetwas aus dem Hut ziehen, was sie erneut aufregen würde. Ihre Streitgespräche verliefen stets nach dem gleichen Schema ab. Jan gab nie auf, bevor er den letzten Trumpf ausgespielt hatte.
„Weißt du eigentlich, dass er seit neunzig Jahren ein Foto von dir in seiner Brieftasche trägt?“
Lächelnd nahm er hin, dass seine Schwester irritiert aufblickte. Doch sie fing sich schnell.
„Ach, und woher willst du das wissen?“ Es war nur eine Frage, um Zeit zu gewinnen.
„Ich hab ihm in unserer ersten Dekade ein bisschen Kleingeld geklaut. Da hab ich es gesehen. Du hast das Foto damals in Westerland machen lassen, weißt du noch? Und als wir letzten Monat mit ihm essen waren, ist es ihm aus der Brieftasche gefallen. Es war dasselbe alte Foto von dir.“
In der Bewegung inne haltend, erinnerte sie sich an den Fotografen. Der junge Hansen hatte seinen Laden damals in der Friedrichstraße. Vor einer Fototapete stehend, hatte sie mit angehaltenem Atem, zaghaft lächeln sollen. Das erwies sich als ziemlich schwer und sie war froh, als sie gehen durfte. Tage später hatte sie sich zwei Abzüge abholen können, für mehr hatte ihr Gespartes nicht gereicht. Ganz kurz flackerte die Erinnerung an die kleine Stube im Haus ihrer Eltern in ihr auf. Sie sah das Vertiko mit dem Spitzendeckchen undden kleinen silberfarbenen Bilderrahmen mit dem Foto, das sie ihrer Mutter zum Geburtstag geschenkt hatte.
Ein ungutes Gefühl stieg in ihr auf. War es, weil Jan Alex beklaut hatte? Noch bevor sie den Gedanken erhaschen konnte, erschrak sie vom durchdringenden Geräusch der Türklingel.
Alex brachte weiße Rosen mit. Nach dem Clangruß umarmte er erst Jan, dann Sophie und küsste diese leicht auf die Wange.
Erst sprachen sie über gemeinsame Bekannte, lustige und tragische Ereignisse, sowie den neusten Klatsch im Clan, aber letztendlich ließ es sich nicht mehr vermeiden, über Vanessa zu sprechen.
„Die Sache ist nun mal passiert und glücklicherweise Vergangenheit. Ich gebe niemandem eine Schuld daran, aber bitte erzählt mir ehrlich, wie es dazu gekommen ist.“ Alex sah sie beide eindringlich an.
Sophie lächelte, denn sie kannte diesen Blick. Insgeheim hatte er Angst, die Kontrolle über seine Schützlinge verloren zu haben. So einfach wollte sie es ihm allerdings nicht machen.
„Dann sei du auch einmal ehrlich und erzähl uns endlich von diesem Pellgren.“ Mit verschränkten Armen ließ sie sich gegen die Sofakissen fallen.
Jan sagte nichts. Er wischte seine Handflächen an den Hosenbeinen seiner Jeans ab. Er schien nervös, wenn es um Vanessa ging. Alex sagte nichts, sein Gesicht gefror zu einer Maske.
„Also, tu nicht so, du weißt sowieso alles, du als Chef.“ Das war Angriff und gleichzeitige Bauchpinselung von Sophie. Er reagierte wie erwartet.
„Na gut. Wir wissen also, dass Vanessa sich zu Forschungszwecken hingegeben hat.“
„Hingegeben hat, wie sich das anhört.“ Unruhig rutsche Jan auf dem Sofa hin und her. „Sie hatte einen Arbeitsunfall und dadurch hat sich dann alles entwickelt.“
Verwundert blickte Alex auf Jans feuerrot angelaufenes Gesicht. Dann lachte er kurz und herzlich auf. „Na endlich mal was Ernstes bei dir, was? Das freut mich, zumal Vanessa eine von uns ist.“
„Von uns ist…, bla, bla, bla“, ging es Sophie durch den Kopf.
„Jan, du brauchst keine Angst haben, es wird Vanessa nichts mehr passieren. Sie ist sicher in Würzburg.“ Alex klopfte ihm auf die Schulter und Jan lächelte wieder. Sophie hätte wegen ihres so einfach zu lenkenden
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