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Zwielicht über Westerland

Zwielicht über Westerland

Titel: Zwielicht über Westerland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lindwegen
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drehen, um mehr zu sehen. Du bist vollkommen ausgeliefert. Um Hilfe rufen kannst du nicht, aber du denkst die Schreie, die aus deinem Mund kommen, müsste doch jemand hören. Aber die Schreie sind nur in dir, die anderen hörennur ein leises Röcheln aus deinem Hals. Die Krämpfe schmerzen derart, dass du um den Kuss des Vergessens betteln würdest, aber nicht einmal dazu bist du in der Lage. Es ist so demütigend und du weißt genau, dass es das auch sein soll. Und das ist das Schlimmste daran.“
    Still vernahmen sie seine Worte. Alex hatte die Ellenbogen auf seine Knie gestützt und den Blick auf den Boden gerichtet.
    Leise und mit trockener Kehle fragte Sophie ihren Bruder:
    „Bei wem hast du das schon einmal gesehen?“
    „Ich hab es nicht gesehen. Ich hab es selber erlebt.“ Er schluckte trocken.
    „Was? Wann war das und wer hat dir das angetan?“ Der Gedanke, Pellgren hätte auch ihn angegriffen, war ihr bis heute nicht gekommen. Unwahrscheinlich war es jedoch nicht, da Pellgren sie selbst auch aufgesucht hatte. Damals war sie nur entkommen, weil Kevin aufgetaucht war. Sie hatte Kevin wirklich einiges zu verdanken, Jan hatte zumindest in diesem Punkt Recht. Doch warum hatte Jan es ihnen nicht erzählt, hatte er sich so sehr geschämt? War die Scham größer als die Fürsorge seinen Freunden gegenüber? Er hätte sie warnen können.
    Doch sie wollte ihn nicht bremsen und so schwieg sie vorerst.
    „Erzähl vom Tag des Brandes“, forderte Alex ihn auf.
    Irritiert schaute sie die beiden Männer an, doch plötzlich kam ihr Herr Wunk in den Sinn. Was hatte er damals gesagt, als sie ihn aufgesucht hatte? „Das Unglück nahm seinen Anfang mit dem Brand“, war seine Antwort gewesen auf ihre Frage, wer Jan zu ihnen geführt hatte. Ein heißer Schwall durchflutete ihren fröstelnden Körper, bei der plötzlichen Erkenntnis, dass es hier um etwas ganz anderes ging als um Pellgren.
    Wie lange hatte sie auf diesen Moment gewartet? Wollte sie es jetzt wirklich hören? Warum erzählte Alex es nicht selber? Warum sollte Jan es tun? Alex starrte immer noch auf den Fußboden, augenscheinlich zu feige, sie anzusehen.
    Erst fuhr Jan sich mit flachen Händen über das Gesicht, dann begann er:
    „Erstmal möchte ich dir sagen, warum ich es dir endlich erzählen will. Du gibst niemals Ruhe, das ist mir erst hier auf der Insel richtig klar geworden. Früher oder später hättest du es von irgendwem erfahren. Ich will aber, dass du es von mir hörst. Außerdem will ich es für Alex tun. Natürlich erinnerst du dich an den Tag, als das Feuer unsere Eltern und unser Zuhause zerstörte. Ich kam mit dem Fahrrad unseres Vaters zu dem Arzt, bei dem du arbeitetest. Dem Hausarzt unserer Eltern.“
    Er machte eine Pause und rieb sich erneut die Nasenwurzel.
    „Ich weiß“, bestätigte sie leise. “Du solltest mich holen, sie hatten beide eine schwere Sommergrippe und lagen im Bett.“ Vor ihren Augen erschienen Bilder, von denen sie sich nicht erlaubte, an sie zu denken. Das kleine Haus war in kürzester Zeit vollkommen ausgebrannt. Der heiße Sommer und die Reeteindeckung hatten den Eltern keine Chance gelassen, sie waren noch im Bett liegend erstickt. Die Erinnerung an die fürchterliche Schwärze und der Geruch des Brandes ließen Übelkeit in Sophie aufsteigen.
    Jan nickte und fuhr fort:
    „Du hattest damals gerade Hannes verloren. Er war nicht wieder gekommen und ich dachte mir ehrlich gesagt nicht viel dabei. Ich hatte geglaubt, dann heiratest du eben einen anderen. Du warst so hübsch und alle meine Freunde waren in dich verliebt. Dachte, du fängst dich schnell wieder, weil niemand genau wusste, was eigentlich mit ihm passiert war. Manche sagten, er hätte in irgendeinem Hafen eine andere gefunden und dich vergessen. Und da…“
    „Das hätte er vielleicht tun können, aber er hätte sich sicherlich gemeldet. Wenn nicht bei mir, dann bei seiner Familie. Ich habe nicht eine Sekunde an etwas anderes geglaubt, als daran, dass ihm etwas zugestoßen war!“, nahm sie ihren damaligen Verlobten auch noch nach so vielen Jahren in Schutz.
    „Entschuldige, ich meinte es nicht so. Ich erzähl dir nur, was ich damals geglaubt habe. Na, ich habe jedenfalls gedacht, du brauchst seine Briefe nicht mehr und da hab ich einen an meinen Freund Willhelm verkauft. Er hat mir eine Zigarette dafür gegeben. Das ähm …hätte ich nicht tun sollen, Sophie.“
    Nicht ein einziges Mal hatte er sie angesehen, seit er von Alex auf das Sofa

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