Zwielicht über Westerland
Bruders würgen können.
„Woher willst du das denn bitte wissen?“, entfuhr es ihr.
„Was wäre, wenn Pellgren herausbekommt, wo sie hin ist? Was kannst du dann tun? Gar nichts kannst du dann tun. Du hockst da in Hamburg und denkst, du hast alles im Griff.“
„Frohe Weihnachten übrigens“, sagte Jan mit spitzem Unterton. Es war ein Hinweis darauf, dass Alex als ihr Freund zu einem Weihnachtsbesuch gekommen war. Sophie verstand sofort, hatte aber nicht die Absicht, darauf einzugehen.
Laut durch die Nase ausatmend, richtete Alex sich im Sessel auf.
„Er wird ihr nichts mehr tun, wenn ich es dir doch sage. Er wollte sie bestrafen, ihr Angst machen, damit sie zurück auf den Boden der Tatsachen kommt.“
Auch er verschränkte die Arme vor der Brust. Der letzte Teil des Satzes kam Sophie wie eine Warnung an sie selbst vor.
„Woher willst du das wissen? Kennst du ihn?“, fragte sie gerade heraus.
Seine Nasenflügel blähten sich auf, doch er versuchte, sich nicht aufzuregen. Sophie dachte sofort an seine Reaktion am Strand und hoffte, er würde heute ruhiger bleiben.
„Pellgren ist, wie ihr mitbekommen habt, einer von uns. Und er nimmt Dr. Wagners Forschungen sehr ernst. Er sieht darin eine Bedrohung für alle Clans, weltweit. Jeder, der nicht so denkt wie er, ist automatisch gegen ihn. Gut, dass er dich nie richtig kennen gelernt hat, Sophie. Er gehört zu einer Art, wie soll ich sagen … hmm … ich will es nicht Mafia nennen, denn mit Verbrechen hatdiese Organisation im weitläufigen Sinne nichts zu tun. Ihre Ziele sind anders gesteckt. Sie wollen ihre Mitglieder in die Regierungen, die wichtigen Wirtschaftsbereiche und so weiter einschleusen.“
„Hört sich an wie Scientology“, spottete Sophie und schenkte sich Tee nach. “Du kennst die Typen also doch.“
„Denkt mal nach. Tut nur mal einen Augenblick so, als wenn einige von uns in den wichtigsten Positionen auf der ganzen Welt sitzen würden. Was wir für Macht hätten. Kriege, Umweltschutz, Menschenrechte und was weiß ich alles, wir könnten endlich darauf Einfluss nehmen. Die Menschen würden anders denken, wenn sie ewig leben könnten. Wir bräuchten unseren Neumitgliedern kein Himmelreich nach ihrem Tod versprechen.“ Alex lief langsam warm, die Chance, die er in der Fiktion sah, spiegelte sich in seinen dunklen Augen.
„Wir könnten ihnen Unsterblichkeit, Schutz vor Krankheit, Macht und ewige Jugend schon zu Lebzeiten anbieten. Welche andere Institution kann das schon? Das kann keine Technik, keine Droge, noch irgendeine andere Religion. Wir Blutsüchtigen würden nicht mehr verfolgt, wir würden respektiert. Überlegt, welch Nutzen wir davon hätten. Vorbei diese ewige Umsiedelei und Geheimnistuerei. Das ist es doch, was du immer wolltest, Sophie. “
„Aha, und du bist also mittendrin, so begeistert wie du erzählst.“ Sie konnte es nicht glauben. Weder, dass er sich so begeisterte, noch, dass er immer noch nicht begriffen hatte, worum es ihr ging. Und wenn er sie noch einmal neun Dekaden fragen würde, er würde die Antworten, die sie ihm gab, nicht verstehen. Er begriff sie nicht, weil sie ihm nicht passten. Es war immer so gewesen und sie war sich von nun an sicher, es würde auch so bleiben. Wenn sie ehrlich war, hatte sie keine Lust mehr, ihm zu erklären, warum sie ein anderes Leben hätte führen wollen.
Alex schien zu spüren, dass seine Begeisterung zu weit gegangen war und versuchte die Situation herunter zu spielen, indem er betontlocker zufügte: „Ich wollte euch nur klar machen, worum es ihnen geht.“
Jan räusperte sich. „Du meinst, wenn er in Vanni eine ernsthafte Gefahr sehen würde, hätte er sie getötet?“
Alex nahm einen Schluck Kaffee und nickte kurz. Damit war es klar. Pellgren hatte Vanni wirklich nicht töten wollen. Vielmehr hatte er gewusst, dass ihre Freunde bald auftauchen würden. Sie sollten sie finden und ihr Leid sehen. Es sollte eine Strafe und eine Warnung für alle sein. Entsetzten machte sich auf Jans Gesicht breit. Auch Sophies Herz begann bei dem Gedanken an den Überfall schneller zu schlagen. In den ersten Tagen danach sah sie vor jedem Einschlafen die schrecklichen Bilder vor sich. Die Freundin krampfend und mit verschmiertem Gesicht. Sie war so blass wie die Wolle ihres Rollkragenpullovers gewesen. Bis heute hatte sie es verdrängt, weiter darüber nachzudenken. Zu sehr fürchtete sie die Furcht selber, die sie dann ergreifen könnte. Doch dann tauchte, wie aus dem Nichts,
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