Zwielicht über Westerland
stimmt, er hat es dir gesagt. Ich war dabei, als du sagtest, du wünschtest er wäre tot.“
„Das ist nicht wahr. Ihr lügt doch. Ich könnte mich erinnern.“ Sich niederkniend, nahm er Sophies Hand.
„Es ist aber so. Du hast ihn gebissen und er ist die Klippen hinunter gestürzt. Mich hast du angefleht, ihn dort unten seinem Schicksal zu überlassen. Darum kannte er Vanessas Anzeichen. Wenig später bin ich zu ihm und habe ihn erlöst.“
Sie entzog ihm die Hand und weinte hemmungslos.
„Ich würde Jan doch nie etwas tun.“
Alex streichelte ihr Haar und drückte sie sanft an sich.
„Ich weiß, heute nicht, aber damals war es so. Du warst nicht mehr du selbst. Wir haben lange überlegt, ob wir es dir anschließend sagen sollen, aber wir fürchteten einen neuen Zusammenbruch. Als es dir irgendwann besser ging, war so viel Zeit vergangen, dass wir es auf sich beruhen ließen.“
Mit seinem Finger wischte er über Sophies Gesicht und küsste zärtlich ihre Stirn. Es drang nicht zu ihr durch.
„Aber ich hab all die Jahre geglaubt, dass du Jan … und ich hab dich dafür verachtet, dass du es getan hast. Ich dachte, du hast es gemacht, um mich an dich zu binden.“
Er nickte zum Zeichen, dass er es gewusst hatte.
Sie machte sich langsam frei und stand auf. Vorsichtig nahm sie neben Jan auf dem Sofa Platz.
„Verzeih mir, ich hab das alles nicht gewusst.“
Jan nahm ihre kalte Hand und nickte. „Alex hat sich, bevor er mich rettete, bei dir bedient, damit du die Sache vergisst. Du konntest es nicht wissen.“
Sie schaute zu ihrem Paten herüber, dem sie so viele Jahre Unrecht getan hatte.
„Alex, ich danke dir, auch wenn ich wünschte, du hättest es mir erzählt, als ich auf die Insel gekommen bin. Warum hast du das all die Jahre auf dich genommen?“
Alex hatte sich erhoben. Die Umrisse seines dunklen Haares und seiner dunklen Kleidung zeichneten sich scharf gegen die weiße Landschaft auf der anderen Seite der Balkontür ab. Er antwortete nicht gleich, als wenn er überlegen müsste, ob diese eine letzte Wahrheit wirklich ausgesprochen werden sollte.
„Weil ich dich liebe, seit ich dich das erste Mal traf.“
14. Kapitel
Inkasso
Meistens war Sophie froh, dass niemand ihr den Gemütszustand von der Nasenspitze ablesen konnte, doch heute war es anders. Ein kurzer Blick in den Spiegel genügte, um festzustellen, dass die Stunde, die sie in ihrem abgedunkelten Zimmer verbracht hatte, alle optischen Merkmale ihres Zusammenbruches beseitigt hatte. Keine geröteten Augen vom Weinen, keine Augenränder oder müde, welke Haut, die verrieten, wie sie sich fühlte. Immer frisch, immer schön zu sein und sich innerlich zerrissen oder verloren zu fühlen, erschien ihr falsch. Doch was war überhaupt noch richtig oder falsch? Auf den Rand des Waschbeckens gestützt, starrte sie in das Dunkel des Abflusses.
Sie hatte sich getäuscht in den Menschen, die ihr die liebsten waren. Doch noch schlimmer, sie hatte sich in sich selbst getäuscht. Wozu war dies endlos lange Leben gut, wenn sie nach den vielen Jahren des Lernens und der Erfahrungen solch grundlegende Fehler machte? Worauf konnte sie sich noch verlassen, auf ihre Menschenkenntnis oder ihr tief verwurzeltes Empfinden für Gut und Böse? Der Abfluss gab ein gurgelndes Geräusch von sich und Sophie raffte sich auf. Sie hatte Matt etwas versprochen. Zwar wäre sie lieber allein zu Hause geblieben, aber sie fühlte sich nicht in der Lage, die frische Beziehung durch eine Ausrede zu belasten.
Alex und Jan waren zum Essen gefahren, wobei sie vermutete, dass sie es als Vorwand benutzten, damit sie selbst sich in der Zwischenzeit beruhigen konnte. Es war ihr nur recht gewesen und sie wollte sich ein Taxi rufen, um verschwunden zu sein, bevor die beiden wieder auftauchten. Während sie die Drehscheibe ihres alten Telefons bediente, fragte sie sich, wie oft sie sich täglich für falschoder richtig entschied. Wie oft tat sie es aus Überzeugung und wie oft war es trotzdem verkehrt?
Matt kam ihr in der Auffahrt entgegen, sobald er das Taxi gesehen hatte. Obgleich sie strahlend wie immer aussah, nahm er bereits nach dem ersten Kuss ihr Gesicht in seine warmen Hände und fragte, was sie bedrückte. Es traf sie wie ein erneuter Schlag. Die Liebe und Wärme, die er ihr mit dieser einen Frage entgegen brachte, rüttelten an ihrer Fassung. Es war der Ton seiner Stimme, sein Geruch und dieser wunderbare Arm um ihre Schultern, die ihr ein Gefühl der Geborgenheit
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