Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwielicht über Westerland

Zwielicht über Westerland

Titel: Zwielicht über Westerland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lindwegen
Vom Netzwerk:
„Sie leben einfach nicht lange genug, um zu begreifen.“
    Den knallig bunten Tonnenhallen in List konnten sie rein gar nichts abgewinnen. Bei dem heutigen bedeckten Wetter liefen unzählige Urlauber mit ebenfalls knallig bunten Fleecejacken und zu kurzen Hosen umher und fragten sich wahrscheinlich genau wie Sophie,wie viele Arbeitsstunden benötigt wurden, um die unzähligen Betonsteine zu verlegen.
    Sie ließen den Hafen hinter sich und fuhren zurück Richtung Westerland. Nach Keitum, ihrem Heimatdorf, wollte sie in den nächsten Tagen allein kommen.
    Die Insel war ihr fremd und trotzdem waren ihr viele Dinge so vertraut, dass sie sich fragte, welches ihre eigenen Erinnerungen waren und welches Erinnerungen an Bilder und Berichte aus Medien. Sie kämpfte gegen die plötzliche Trauer darüber. Heute war keine Zeit für derartige Gefühle, wies sie sich zurecht. In den letzten neunzig Jahren hatte sie gelernt, damit umzugehen. Die schwierigsten Gefühle kamen nicht plötzlich, sie winkten zunächst von weitem. Auch wenn Sophie sie erkannte, ausweichen konnte sie ihnen fast nie.
    Als Alex ihre Hand nahm und an seine Wange legte, konzentrierte sie sich wieder auf ihr Vorhaben.
    „Wie viele von uns gibt es zurzeit hier auf Sylt?“, frage sie ihn und legte seine Hand zurück auf das Lenkrad.
    „Fünf Frauen, sechs Männer“, antwortete er und lenkte den Wagen von der Hauptstraße herunter auf einen kleinen Sandparkplatz.
    „Einen wirst du gleich kennenlernen“, versprach er ihr, während er ein kleines Lokal ansteuerte. Es lag direkt vor den Dünen und bestand eigentlich nur aus einem kleinen Schankraum. Draußen auf der Terrasse standen mehrere Strandkörbe und bildeten eine Art Innenhof. Sophie setzte sich in einen der Körbe und stellte ihre Tasche auf den Platz neben sich.
    Der Kellner war sofort bei ihnen und grüßte mit dem Gruß ihres Clans. Neugierig studierte Sophie sein Gesicht. Er war ihr bekannt, sie kannte ihn aus Hamburg, aus ihrer ersten Dekade.
    Ihr Herz begann schneller zu schlagen und sie merkte, wie ihr Gesicht leicht errötete. Wenn er aus der Gegend war, würde er ihr vielleicht helfen können, denn die Gerüchteküche brodelte damalswie heute. Sicherlich hatte er etwas gehört von dem Jungen ohne Paten.
    Ein kleines Namensschild an seiner Weste zeigte, dass sie von Max Wunk bedient wurden. Sophie prägte sich den Namen ein, obwohl sie sicher war, dass dies nicht sein richtiger Name war. An ihrem nächsten freien Tag würde sie herkommen, nahm sie sich vor.
    Sie bestellten ein leichtes Mittagessen und genossen die frische Seeluft. Alex hatte noch einmal versucht, ihre Hand zu nehmen, doch sie hatte rechtzeitig zur Serviette gegriffen.
    „Warum wolltest du hierher zurück?“, fragte er und machte eine weit ausladende Geste mit der abgeblitzten Hand.
    „Weil es mein Zuhause ist“, gab Sophie fast trotzig zurück. Sie hatte selbst den richtigen Zeitpunkt für eine Aussprache bestimmen wollen. „Und weil ich hier einen guten Job bekommen habe“, fügte sie etwas milder hinzu.
    Alex zog die Augenbrauen hoch. Er glaubte ihr nicht, das war deutlich zu sehen. Wieder flammte das schlechte Gewissen wie Sodbrennen in ihr auf. Sie wusste, der richtige Zeitpunkt war jetzt fast schon überschritten.
    Die Bedienung kam an ihren Tisch und Alex zahlte. Sie gingen die Treppen zur Düne hinauf und setzten sich oben auf eine kleine Holzbank.
    Warum war es nur so schwer, mit ihm befreundet zu sein? Sie kannten einander gut, teilten viele Ansichten, lachten zusammen. Aber letztendlich war jeder allein. Manchmal ertappte sich Sophie dabei, wie sie sich nach seiner Schulter sehnte, oder nach irgendeiner vertrauten Schulter, aber war das genug? Würde die gemeinsame Einsamkeit nicht viel schlimmer sein?
    Nach einer Weile legte Alex wie beiläufig den Arm um ihre Taille. Sie überlegte, ob sie ihn genauso beiläufig abstreifen sollte. Sie überlegte so lange, bis es zu spät war und er sie zu sich drehte, um ihr in die Augen zu schauen, als wenn er darin etwas suchen wollte. Etwas, das ihn seit Jahren zu ihr trieb.
    Leidenschaft, vielleicht Liebe, Erwiderung.
    „Ich wollte dir noch was sagen“, dreht sie sich aus seinen Armen und seinem Blick.
    Abrupt ließ er sie los.
    Langsam ging sie die Stufen zum Strand herunter und er folgte ihr. Zwei Jugendliche kamen ihnen entgegen und so schwieg Sophie vorerst, bis sie unten angekommen waren.
    „Ich möchte dir sagen, warum ich wiedergekommen bin. Ich hatte wirklich

Weitere Kostenlose Bücher