Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande
Es tat weh. Ihre Finger kribbelten, dann brannten sie, und die Waffe fiel mit einem gedämpften Scheppern auf die Straße. Talia wehrte sich gegen den Griff und warf sich mit ihrem Gewicht nach hinten. Aber er war zu stark. Zu starr. Er spielte mit ihr wie mit einer Stoffpuppe.
Tränen verschleierten ihren Blick, als sie versuchte, sich aus seinem Griff zu lösen. Die Lage war nicht gut. Hoffnungslos.
»Er hält mich fest«, keuchte Talia Patty zu. »Fahrt los!«
Aber Patty stellte sich vor Talia. Pattys zitternde Hand suchte nach der Hand des Geistes. Anstatt zu versuchen, ihn von ihr loszureißen, was sinnlos gewesen wäre, strich sie über seinen Arm bis hinauf zu seiner Schulter.
»Patty, sie tun mir nichts. Sie haben schon einmal versucht, mich zu fangen. Lebend. Sie tun mir nichts«, sagte Talia. Ihre Augen brannten. Das war das Ende, das war ihr klar. Vielleicht würden diese Geister sie am Leben lassen, aber wenn sie sie in ihre Gewalt bekamen, würde es schrecklich werden. Grausam.
Patty stürzte sich auf das Monster. Sie packte seinen Kopf. Und küsste ihn auf den Mund.
Talia blieb vor Schreck das Herz stehen, Tränen strömten über ihre Wangen.
Die Gelegenheit war zu verlockend, als dass der Geist widerstehen konnte. Er ließ von Talia ab, die mit dem Hinterkopf gegen den Wagen stieß. Dann wurde sie von hinten gepackt und hineingezerrt.
»Wo ist Patty?«, schrie Gillian. Es hörte sich weit entfernt an. »Ich kann überhaupt nichts sehen!«
Talia schon. Der Geist legte den Kopf auf eine Seite, öffnete den Mund und biss zu. Ein quälender Schmerz riss an Talias Herz – nein tiefer – , während er Pattys Seele in seinen Schlund saugte. Eine große Seele, eine wunderschöne reine Seele, bebte und verschwand im Rachen des Monsters.
»Talia!«, kreischte Gillian wieder.
Talia blutete das Herz. Ein solches Geschenk hatte sie nicht verdient, aber sie würde nicht zulassen, dass Patty sich umsonst geopfert hatte. Sie würde alles dafür tun. Sie schlug die Tür zu.
Gillian hatte bereits den Schlüssel in das Zündschloss geschoben, der Motor heulte auf. Talia löste die Handbremse, legte den Gang ein und gab Gas.
11
Adam brütete über einer Zahlenkolonne, es waren Kosten, die seine Mitarbeiter bei ihren Recherchen in allen Teilen der Erde verursacht hatten. Derartige Posten zeichnete er meist blindlings ab, insbesondere Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Die Arbeit in Segue war aufreibend, ließ einem keine Pause und wurde aufgrund der sich stetig vermehrenden und ausbreitenden Geisterpopulation zunehmend gefährlicher. Wenn eine Suite in einem Hotel die Recherche etwas erträglicher machte, nun gut. Geld spielte wirklich keine Rolle mehr.
Auf dem Schreibtisch brummte sein Mobiltelefon und wurde von der Vibration zur Seite getrieben. Er griff danach und nahm das Gespräch an.
Eine panische, fast hysterische Frauenstimme schluchzte etwas Unverständliches in den Hörer. Adams Magen krampfte sich zusammen – er hatte die markante Stimme sofort erkannt.
»Gillian?«, fragte er ganz ruhig, obwohl sein Puls augenblicklich raste. »Was ist passiert?«
»Sie sind hinter uns her … kommen nach Segue.«
»Geister?« Adam löste den Hauptalarm aus und forderte die Angestellten dadurch auf, sich an dem vereinbarten Treffpunkt zu versammeln und aufeinander zu achten. Auf seinem Bildschirm tauchte eine Liste der anwesenden Mitarbeiter auf. Als Jacobs Zelle aufgrund der Sicherheitsvorkehrungen überflüssigerweise vom Rest von Segue abgeschnitten wurde, erbebte der Boden – die Wachen dort unten mussten so lange ausharren. Nacheinander ging Adam die Bilder der Außenkameras durch. Es war ein typischer Vormittag auf dem Berg. Alles ruhig, nur die Blätter der Bäume rauschten leise im Wind. Ihre Schatten wirkten jetzt allerdings bedrohlich. Finster und undurchdringlich.
Er hätte die Frauen nicht ohne bewaffneten Begleitschutz gehen lassen dürfen. Nun war er in die schlimmste Falle getappt, die die Psyche einem stellen konnte, er hatte sich zu sicher gefühlt. Er hatte streng darauf geachtet, dass über sein handverlesenes Forscherteam hinaus niemand etwas von der Arbeit in Segue erfuhr, aber mit der Zeit war zwangsläufig das ein oder andere nach draußen gesickert. Irgendwann musste jemand einen Fehler machen. Hatte einen gemacht.
»Wir haben Patty verloren.« Gillian klang vorwurfsvoll. Gab sie ihm die Schuld? Er hatte es nicht anders verdient. »Sie haben Patty, Adam. Patty ist
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