Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande
besorgniserregenden Mitteln des Kollektivs hinzu. Die Prognosen, die das Programm auswarf, trieben ihm den Schweiß auf die Stirn. Aufgrund einer Fülle von Zahlen, geteilt durch geografische und industriespezifische Wahrscheinlichkeiten, kam der Computer zu dem sicheren Ergebnis, dass es keine Hoffnung gab.
Er sah zu Talia und wusste, dass das nicht stimmte.
Aber wenn er es irgendwie verhindern konnte, brachte er keine Frau in Gefahr. Er musste ganz sicher sein, dass Talia nichts zustoßen konnte.
Sie saß auf dem Sofa, das mit dem Blick auf die weite dunkle Stadt vor dem Fenster stand, hatte die Füße unter ihren Körper hochgezogen und die Nase in das Buch gesteckt. Ihre Haare waren in der Zeit, die er gearbeitet hatte, zum Teil getrocknet, hellten langsam auf und kringelten sich über ihren Schultern zu Locken. Seit sie sich hingesetzt hatte, hatte sie kaum einmal aufgesehen.
Das Buch musste verdammt fesselnd sein.
Bevor Custo kam, sollte er sich besser um Schadensbegrenzung bemühen.
Adam stand auf und streckte sich, um die Verspannung in Rücken und Nacken zu lösen. Sein Blick war entschlossen, aber sein Körper vibrierte, als er Talia gegenüber Platz nahm.
»Was liest du?«, fragte er anstelle von Geht es dir gut?
Talia klappte das Buch zu und ließ es auf ihren Schenkeln liegen. Glückliches Buch.
»Jim hat es mir gegeben, kurz bevor er mich gebeten hat, Lady Amunsdale zu rufen. Es ist eine Art Lexikon mythischer Gestalten und enthält eine Einführung über Banshees, über Todesfeen.«
Adam beugte sich in seinem Stuhl nach vorn. Der angenehme Geruch von Shampoo und Seife, der noch frisch auf ihrer Haut haftete, stieg ihm in die Nase. Der süße Geruch saß in ihrem Nacken, direkt hinter ihrem Ohr, wahrscheinlich noch intensiver und noch kräftiger zwischen ihren Beinen. Er setzte sich wieder zurück und rieb sich die Kopfhaut, um das Blut dorthin zu lenken, wo er es am dringendsten brauchte. »Was steht drin?«
»Der Begriff Banshee stammt aus dem Irischen, was keine Überraschung ist. Ban heißt Frau. Und shee bezieht sich auf den Feenhügel oder das Jenseits.«
Talias Ton zeichnete sich durch eine gewisse akademische Distanz zu den vermittelten Informationen aus, als würde sie sich aus rein intellektuellem Interesse mit ihrer Abstammung beschäftigen. Nicht so, als wäre es die persönliche Entdeckung, nach der sie ihr ganzes Leben lang gesucht hatte. Er ließ sich von ihrem Schauspiel nicht täuschen. Adam wusste, dass ein solches Familienerbe belastend war – entweder nahm man die Bürde auf sich, bis man sie an jemand anders weiterreichen konnte, meistens an die eigenen Kinder, oder man wurde von der Last erdrückt. Wenn Adams Bürde schwer wog, musste die ihre beinahe unerträglich sein.
Sie fuhr auf ihre trockene Art fort. »Der Schrei einer Todesfee geht dem Tod voraus. Er kündigt den Tod an, was erklärt, was zwischen mir und dem Schattenmann vor sich gegangen ist. Es gibt allerdings einen Unterschied: Banshees sind mit irischen Königsfamilien verwandt, was bei mir nicht der Fall ist.« Sie presste die Lippen aufeinander, schloss das Buch und warf es beiseite.
»Deine Mutter war Irin. Vielleicht gibt es in ihrer Familie Verbindungen zum Königshaus. Vielleicht bist du eine edle Prinzessin.« Und ob sie das war. Er hatte es die ganze Zeit über gewusst.
»Kann ich abdanken?« Sie lachte rau und bekam endlich feuchte Augen. Sie blinzelte rasch, um die Tränen zu vertreiben.
»Noch nicht«, antwortete Adam. »Ich brauche dich.«
Talia wurde so still, dass er seine letzten Worte noch einmal in seinem Kopf Revue passieren ließ. Ich brauche dich. Was redete er denn da? Der Satz zog eine Folgefrage nach sich – wozu? Als Waffe oder für die Liebe?
Er räusperte sich, drückte sich vor der intimeren Frage und widmete sich der offensichtlichen. »Ich glaube, dass die Verbindung zum Tod abbricht, wenn jemand zum Geist wird. Durch deinen Schrei wird sie wiederhergestellt.«
Talia schüttelte den Kopf. »Ich bin sicher, dass ich als Kind geschrien habe. Bei Wutanfällen, auf der Achterbahn oder in gruseligen Filmen. Damals ist kein Schattenmann aufgetaucht.«
»Ich glaube nicht, dass du dich in der Nähe von einem Geist oder dem Tod aufgehalten hast. Ich wette, du warst von lebendigen Menschen umgeben.«
Ihr Kinn bebte. »Als ich mit Tante Maggie diesen Autounfall hatte, habe ich geschrien. Da habe ich den Schattenmann, meinen Vater, gesehen. Ich habe mich sehr lange gefragt, wieso
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