Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
Unvorstellbar.
Er knurrte ungeduldig, was ihr Fortkommen auf der Straße allerdings nicht beschleunigte.
Er musste sich darauf verlassen, dass Custo in den Zwielichtlanden nach Layla suchte. Custo. Ein Engel. Mit seinem Schattenblut machte er es vielleicht besser als andere des Ordens. Vielleicht konnte er sie mit seinem Jagdinstinkt wittern, doch der Schattenmann hegte wenig Hoffnung. Die Zwielichtlande bestanden aus endlosem dunklen Wald. Noch nicht einmal er kannte das gesamte Gebiet, denn ein Ende gab es nicht.
Layla musste inzwischen wahnsinnig geworden, ihr Verstand in einem Albtraum gefangen sein. Er hoffte nur – aber das schien äußerst unwahrscheinlich – , dass kein Schattenwesen sie entdeckt hatte. Wenn doch, konnte man sie unmöglich finden. Selbst die einfachsten Schattenwesen erwiesen sich als listige Täuscher.
»So, da sind wir«, erklärte der Fahrer, als er in der weißen Auffahrt vor dem Haupteingang von Segue hielt.
Der Schattenmann kämpfte mit der Tür und stieß sie schließlich ungeduldig mit dem Unterarm auf. Suchend blickte er sich nach den Schatten um, entdeckte jedoch nichts und stolperte unachtsam die Treppe hoch. Lediglich die länglichen Bahnen des anbrechenden Tages waren auf dem Gebäude zu erkennen.
Adam stieß die Tür auf und lief die Treppen hinunter, um ihn zu begrüßen. Mit angespannter, sorgenvoller Miene musterte er seinen neuen menschlichen Körper von oben bis unten.
»Dann stimmt es. Du bist sterblich.«
»Wo ist Layla?« Der Schattenmann erkannte seine eigene Stimme kaum. Alles kostete ihn Mühe, die Koordination zwischen Atem, Hals und Zunge verzögerte seine Suche nach ihr.
»Es tut mir leid«, antwortete Adam. Das konnte der Schattenmann allerdings nicht fühlen, und es kam ihm wie eine leere Behauptung vor. »Als die Schatten über Segue gekommen sind, ist sie zu Zoe gelaufen, um ihr mit Abigail zu helfen.«
Eine Welle heißer Wut packte den Schattenmann und ließ ihn wanken. »Du hast gesagt, du beschützt sie.«
»Ich musste Talia und die Kinder rausbringen«, erklärte Adam. »Layla hat gesagt, du würdest dich um sie kümmern. Woher sollte ich wissen, dass du sterblich wirst? Ich wusste ja noch nicht einmal, dass so etwas möglich ist.«
Der Schattenmann stieß Adam zur Seite und lief weiter die Treppe hinauf. Der Junge war nutzlos. »Wo ist meine Tochter? Wo ist Talia?«
»Sie befindet sich in einem Nebengebäude. Dieser Ort ist zu gefährlich für sie.«
»Dann hole sie. Und pass du auf die Kinder auf.«
»Sprich nicht so mit ihm«, schaltete sich Talia von der Balustrade über ihnen ein, wo sie mit einem Baby auf der Hüfte stand. Schulterzuckend blickte sie zu ihrem Mann. »Ich bin durch den Hintereingang gekommen. Ich glaube, das Schlimmste ist vorbei.«
»Hüte deine Zunge!« Wenn das Schlimmste vorüber war, war Layla verloren. Jetzt hätte er alles getan, um an seine Sense zu kommen. Ihr Klagen zu hören und ihr mit seinem Brüllen zu antworten. Um Layla sicher durch das Schattenreich an die Himmelspforten zu begleiten, nähme er das endlose Dasein als Tod in Kauf. Wenn er dadurch ihre Seele retten konnte, schien ihm das ein vergleichsweise geringes Opfer. Er hätte auf sie hören sollen. Jetzt waren sie beide verloren.
Talia presste die Lippen aufeinander. »Was brauchst du?«
Der Schattenmann erreichte den oberen Treppenabsatz. »Ich brauche einen Geist, dann musst du schreien, wie du noch nie zuvor geschrien hast.«
Sie versammelten sich erneut in dem Gefängnis unter der Erde, das von Adam für die Geister eingerichtet worden war. Hier hatte er sich Layla als Tod zu erkennen gegeben. Hier hatte sie sich an den Sinn ihres zweiten Lebens auf der Erde erinnert. Die Engel ließen sie über der Erde zurück, damit sie Talias Ruf nach den Schatten nicht störten. Talias Kinder befanden sich in einem praktischen Sportwagen mit ihnen unter der Erde. Dass Talia und Adam sie in dieses Grab mitnahmen, zeigte, wie sehr sie sich um Layla sorgten. Wenn das nicht funktionierte … Wenn er nicht hinübertreten konnte …
Zum Glück hatte Layla trotz aller Teufelsspiele nicht die Geister freigelassen.
Zwei Wächter beförderten mit einer Art mechanischem Arm einen Geist auf einen Rolltisch. Seine Glieder waren mit Metallschlingen gefesselt, ein verstärkter Käfig bedeckte seinen Rumpf. Das Wesen wand sich, bis Blut auf das Metall troff. Es wusste, dass sein Tod bevorstand.
»Schrei«, befahl der Schattenmann mit Blick zu seiner Tochter.
Er
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