Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
Zunge.
Laylas Zähne klapperten. Sie verschränkte die Arme, um sich zu wärmen. Das konnte nicht das Ende sein, doch die Bäume und die Asche und der kalte graue Himmel sagten etwas anderes. War das wirklich, was ihr von ihm blieb? Die Ödnis raubte auch ihr die Farbe.
Das wollte er nicht. Sie wollte es nicht.
»Nehmen wir beispielsweise deinen Mann, den Tod«, fuhr Moira fort. »Was glaubst du, wie viele Namen ihm die Menschen im Laufe der Jahrhunderte gegeben haben? Dennoch hat ihn ein albernes Mädchen seiner Macht beraubt und schwirrt damit jetzt durch den Wald.« Moira stoppte vor Layla und zauberte einen fragenden Ausdruck auf ihr reizendes Gesicht. »Wie willst du denn überhaupt reisen, wenn du dich noch nicht einmal an deinen Namen erinnern kannst?« Sie setzte ihre Runde mit einem deutlichen und sehr selbstzufriedenen »Hmm« fort.
Layla rief sich die Namen und Gesichter ihrer neuen Familie ins Gedächtnis: Talia, blass und blond; Adam, der alles managte; die Babys, der schwarzäugige Michael und der pausbäckige Cole. An sie konnte sie sich erinnern. Sie zitierte ihre Telefonnummer, ihre Adresse, selbst ihr Computerpasswort. Kein Problem.
Freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin …
Nichts.
Layla holte Luft und stieß eine Atemwolke in die märchenhafte Winterlandschaft. Ihre Nase kribbelte, als sei ihr kalt oder als müsse sie weinen. Sofern sie nicht durchdrehte, würde sie sich erinnern. Sie hatte es in der Hand. Wenn Zoe Macht erlangen konnte, konnte Layla das auch. Von dieser Hexe ließ sie sich nicht unterkriegen. Inzwischen: »Hör auf, von meinem Mann als Tod zu sprechen. Er heißt Schattenmann .«
Die drei Schwestern grinsten höhnisch.
Warte. Moment. Nur eine Sekunde.
Der Tod, wie Layla ihn kannte, existierte nicht mehr. Okay, verstanden. Er wollte ja auch nicht mehr der Tod sein. Aber war der Schattenmann ebenfallsweg?
Moira und ihre Schwestern liefen weiter im Kreis um sie herum. »Der Schattenmann ist ein Idiot, wenn er Macht und Zeit für ein paar Jahre hergibt.«
»Er lebt.« Hitze stieg in Layla auf.
»Er ist sterblich«, sagte Moira, als sei das unter ihrer Würde.
Layla würde ihn in jeder möglichen Gestalt nehmen. Die Entschlossenheit ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie fror nicht mehr. Kein bisschen. »Ich habe schon einmal einen Weg zu ihm gefunden. Ich kann es noch einmal schaffen.«
Die alte Schwester blickte zu ihr herüber. »Dein Leben ist zu Ende.«
Gut. Das war Layla nur recht. In diesem Leben hatte sie sich die meiste Zeit unglücklich und einsam gefühlt, hatte den Mann, den sie liebte, an seine Pflicht gemahnt und sich damit das Herz gebrochen. Auftrag erledigt. Ja, sie war sehr froh, dass ihr Leben zu Ende ging.
Sie wollte ein neues, nach ihren Vorgaben. »Ich gehe.«
Layla trat auf den Rand des Kreises zu, um durch die Lücke zwischen zwei Schicksalen zu schlüpfen, doch der Kreis bewegte sich mit ihr. Moira lächelte. »Wohin?«
»Dorthin, wo du nicht bist.«
»Unmöglich. Ich bin das Schicksal und überall, wo du bist. Ich sage dir, was du tun und wohin du gehen sollst. Denkst du, dass du dem Tod zufällig in diesem Lagerhaus begegnet bist? Nein, ich habe dich dorthin gebracht. Oder dass du deine Tochter wiedergefunden hast? Auch das hat das Schicksal bewirkt.«
Das glaubte Layla ihr nicht. Auf keinen Fall war diese alte Vettel für jede menschliche Entscheidung verantwortlich, am wenigstens für ihre.
»Was ist mit Zoe?« War ihre Verwandlung vorherbestimmt?
Moira nickte.
»Das glaube ich kaum.« Layla trat wieder an den Rand, doch die Schicksale folgten ihr mühelos. »Habt ihr nichts Besseres zu tun?«
»Etwas Besseres als dich?« Moira legte den Kopf auf eine Seite als dächte sie nach. »Im Moment nicht. Ich sage dir was: Finde heraus, wer du bist, dann darfst du deinen Verstand irgendwo anders im Schattenreich verlieren.«
Moira neigte den Kopf. Um den Kreis herum erschienen goldene Spiegel, die derart glitzerten und funkelten, dass Layla zusammenzuckte. In den länglichen Ovalen standen Menschen, als seien sie in den Rahmen gefangen. Es handelte sich um Frauen jeden Alters, die Layla mit flehenden Blicken ansahen. Nimm mich, nimm mich . Einige Gesichter waren ihr fremd oder kamen ihr nur entfernt bekannt vor. Eine alte Dame, eine junge Frau, eine rundliche Hausfrau mittleren Alters. Als Layla die Gesichter genauer betrachtete, entdeckte sie einige, die sie an zu Hause erinnerten. In einem Rahmen stand Layla als Kind mit einem kantigen
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