Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
runzelte die Stirn. Der Junge machte sich über ihn lustig.
»Talia ist achtundzwanzig.« Custo deutete mit dem Kinn auf Kathleen. »Müsste sie nicht in den Fünfzigern sein?«
Die Frau in seinen Armen war tatsächlich jung und frisch. »Sie wurde wiedergeboren.«
»Reinkarnation? Das ist sehr selten. Genau genommen habe ich noch von keinem Fall gehört. Bist du sicher, dass sie es ist?«
Der Schattenmann ließ sich zu keiner weiteren Antwort herab. Als ob er die Frau, die alles verändert hatte, nicht wiedererkennen würde. Kathleen.
»Okay, sie ist es. Schön für dich!« Custos Blick glitt zu dem Tor. »Dann wäre das gar nicht nötig gewesen?«
»Hat das Tor sie etwa nicht angezogen?«
»Bau das nächste Mal einen Kompass. Und lass die Hölle samt Teufeln in Ruhe.«
Ein Brennen verriet dem Schattenmann, dass sich ein paar von Custos Kollegen vor dem Lagerhaus herumtrieben. Sich überlagernde Herzschläge bestätigten seine Vermutung. Sie waren wegen des Tores gekommen, doch er ahnte, dass sie ihm auch Kathleen wegnehmen wollten. Das durften sie nicht. Wenn sie das versuchten, würde er kämpfen.
»Sie kommen«, erklärte Custo. »Du bringst sie besser hier weg.«
»Und das Tor?«
»Darum kümmern wir uns. Es darf auf keinen Fall hier bleiben.« Sein Blick fiel auf Kathleen. »Aber ich glaube, du hast jetzt etwas anderes zu tun.«
Der Junge schien völlig naiv zu sein. Sich eines so mächtigen Gegenstandes anzunehmen, bedeutete keine leichte Aufgabe. Werke dieser Art waren an ihren Schöpfer gebunden. Das Tor musste zurückgebaut werden, was deutlich mehr hieß, als bloß das Metall auseinanderzunehmen.
Doch das würde der Engel schon noch merken. Der Schattenmann würde seine Gnadenfrist mit Kathleen verbringen und ihr helfen, sich zu erinnern. Sie musste sich erinnern.
Der Schattenmann griff in die Dunkelheit und teilte den Schleier. »Der Hammer liegt auf dem Amboss.«
Er beobachtete, wie Custo darauf zuging und das verhasste Werkzeug griff.
Jetzt musste er sich nur noch um den Teufel kümmern, aber mit dem kam der Schattenmann allein zurecht. Ein Teufel vernichtete jeden, der ihm begegnete, und musste deshalb sofort unschädlich gemacht werden. Andernfalls würde Kathleen sich für die Opfer verantwortlich fühlen.
Doch auch das musste Custo nicht wissen. Wenn er von dem Teufel erfuhr, blieb der Engel nur noch länger.
Der Tod presste die Frau an seine Brust und trat in die Dunkelheit.
»Warte«, rief Custo.
Der Schattenmann blieb stehen, drehte sich jedoch nicht um.
»Wo finde ich dich?«
Solange er es nicht wollte, ganz sicher nirgends. »Im Schattenreich.«
Wo sollte er anfangen? Wie sollte er ihre Erinnerung wecken?
Der Schattenmann legte Kathleen auf die weiche Erde unter die glitzernden Zweige der dunklen Bäume. In das Rauschen des Windes mischten sich die Stimmen der Feen.
Die wiedergeborene Kathleen hatte ihre eigene Vorstellung vom Tod, die sich aus ihrer Lebenserfahrung, ihren Ängsten und Hoffnungen speiste. Von alledem wusste er nichts und durfte sich ihr deshalb nicht zu erkennen geben.
In den Zwielichtlanden fiel es ihm leicht, seine Gestalt aufrechtzuerhalten. Er füllte sein Wesen mit Schatten. Bis sie sich an ihn erinnerte und wusste, was sie einander bedeuteten, brauchte er jedes Fitzelchen.
Ihr Krankenzimmer? Kathleen hatte es gehasst.
Was dann? Womit konnte er sie erreichen? Er musste sich schnell etwas einfallen lassen. Wenn sich eine Sterbliche zu lange im Schattenreich aufhielt, wurde sie verrückt.
Er senkte den Blick zu ihr. Kathleen hatte den Kopf zur Seite geneigt und die Lippen leicht geöffnet. Ihre Lider flackerten, während sie träumte. Das dichte Haar schimmerte im Licht der Zwielichtlande golden. Die Hüfte war leicht zur Seite gekippt, wodurch ihre Taille schmaler und ihre Brüste voller wirkten. Wie damals war sie ganz die schlafende Schöne.
Und da kam ihm auf einmal eine Idee: Kathleens Klein-Mädchen-Fantasie. Dort musste er ansetzen. Damals war er ihr Held gewesen.
Layla erwachte in einem Märchenland. Sie hob die Hand, um ihren müden Kopf zu betasten. Als ihr Blick auf einen Ärmel mit einer spitz zulaufenden Manschette fiel, der zu einem prächtigen gelben Prinzessinnenkleid gehörte, hielt sie inne. Schwach spürte sie das Gewicht einer Krone auf ihrem Kopf. So brutal wie sie erwacht war, handelte es vermutlich um ein Diadem. Oder, noch schlimmer, um einen von diesen spitzen Satinhüten mit Bändern vom Renaissancemarkt.
Ganz
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