Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
damit sie sich auf sie warfen und sie davon abhielten, ihren Weg zum Tor fortzusetzen.
Wenn sie irgendeine Wirkung auf sie hatten, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie reagierte genau wie an der Tür und bei seinen wiederholten Versuchen, sie von dem Gang durch das Lagerhaus abzuhalten. Sie schien vollkommen immun zu sein.
Die Schatten hatten keine Wirkung auf sie, und ihm blieb keine Zeit herauszufinden, warum.
Sollten die Teufel die Welt bevölkern, konnte er Kathleen nicht zurückholen. Er war geschwächt von der Arbeit, das Tor quälte ihn, und er hatte noch nicht einmal seine Sense.
Notfalls würde er sie selbst töten. Da das Tor die Kontrolle über ihren Verstand hatte, war das womöglich sogar nötig.
Der Schattenmann sammelte Kraft, um einen Körper zu formen. Lungen, um Luft zu atmen. Zunge und Zähne, um Worte zu formen. Hände, um sie zu erdrosseln. Es war der Körper, der ihm besonders vertraut war. Er entstammte Kathleens Fantasie, war der Held ihrer Träume. Dabei eigneten sich die Schreckensbilder, die andere Menschen vom Tod zeichneten, vermutlich viel besser. Monster aus schrecklichen Albträumen. Etwas, das ihr Furcht einjagte und dem sie gehorchte.
»Nicht«, raunte er in ihr Ohr. Mit einem Knacken rastete sein Rückgrat ein, und auf seinen Beinen lastete das Gewicht eines Mannes.
Doch sie hatte bereits den Arm ausgestreckt. Ihre Hand packte das schwarze Metall. Der verfluchte Riegel bewegte sich.
Als sie sich nach hinten lehnte, stürzte er auf das Tor zu.
Ohne den Griff loszulassen, drehte die Frau sich zu ihm um. Ihre Verwirrung und Angst sickerten durch die Schatten. Hatte ihr Herz zuvor ruhig geschlagen, raste es nun aufs Neue. »Ich … es tut mir leid.«
Ein seltsames Totenlicht ließ ihre Gesichtszüge erstrahlen und befreite sie von der Mühsal des irdischen Lebens. Als besäßen ihre Atome kaum Substanz, leuchtete ihre Seele durch ihre frische rosige Haut.
Das war unmöglich .
Der Schattenmann schlug das Tor zu und hielt es mit aller Macht fest, während die Frau in seinen Armen zitterte. Sie öffnete die Lippen und hielt erschrocken die Luft an.
Doch zu spät. Etwas befand sich im Raum, das nicht hierher gehörte. Etwas überaus Bedrohliches. Ein Teufel.
Doch der Schattenmann achtete kaum darauf, denn zum ersten Mal sah ihm die Frau direkt in die Augen. Ihr Verstand funktionierte genau wie bei allen Sterblichen, die den Tod nach ihrer Vorstellung formten. Darin bestand die Macht der Sterblichen, doch zum ersten Mal nach fast dreißig Jahren wollten die Schatten ihr fast gehorchen. Seit seiner Begegnung mit Kathleen hatte der Schattenmann an ihrer Vorstellung von ihm festgehalten, an ihrem dunklen Prinzen. Kathleen, die ihm einen Namen gegeben hatte. Kathleen, die ihn geliebt hatte.
Und diese Frau drohte seine Gestalt hier und heute zu zerstören und ihn nach ihrer Vorstellung vom Tod neu zu gestalten.
Natürlich musste er ihr verzeihen. Sie war dem Teufel entkommen. Er musste ihr vergeben und sollte sich selbst verurteilen. Dafür, dass er mit aller Macht an seinem Lieblingskörper festhielt, nur damit die Frau seine wahre Natur nicht erkannte. Damit sie keine Bestie aus ihm machte.
Kein Wunder, dass seine Schatten sie nicht aufhalten oder ihr etwas antun konnten. Schon immer hatten seine Schatten sie beschützt.
Kathleen befand sich nicht im Himmel. Und genauso wenig in der Hölle.
Sie hatte ihr Versprechen gehalten und einen Weg zurückgefunden. Sie hatte ihre Erinnerung gegen die geringe Chance eingetauscht, ihm wieder zu begegnen.
Der Schattenmann musterte die Frau und prägte sich ihre neuen Gesichtszüge ein: Ein schmales Gesicht mit grauen, weit auseinanderstehenden Augen, eine zierliche Nase sowie ausgeprägte Wangenknochen. Süße volle Lippen. Ein Grübchen am Kinn. Die Haare fielen in dichten braunen Wellen auf ihre Schultern hinab.
Um sich etwas zu erholen, stützte er sich an dem Tor ab.
Kathleen war nicht tot.
Sie war wiedergeboren.
4
»Wie hast du mich gefunden?« Der Schmied musterte sie aufmerksam. Das Feuer warf einen flackernden Schein auf sein Gesicht, und Layla bemerkte seine leicht schräg stehenden schwarzen Augen, aus denen er sie überaus gefühlvoll ansah. Sie taumelte. Sein durchdringender Blick kam ihr schmerzlich vertraut vor und berührte ihr Herz. Plötzlich strömte ein heftiges Brennen durch ihre Nerven. Darüber erschrak sie derart, dass sie sich nicht dagegen wehrte, als er über ihr Haar strich.
»Ich weiß nicht, wovon Sie
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