Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
offensichtlich schlief sie noch und befand sich mitten in einem Albtraum.
Sie arbeitete zu viel. Anzeichen dafür gab es schon länger. Die Ereignisse der letzten Tage schienen das nur zu bestätigen. Die Trennung war auch nicht gerade hilfreich gewesen. Wenn sie nicht bald etwas unternahm, würde sie noch einen Nervenzusammenbruch erleiden. Vielleicht war es sogar schon so weit, nach allem, was sie just erlebt hatte.
Beim Aufstehen kämpfte sie mit den üppigen Stoffmengen. Sie ahnte, dass sie zierliche Schuhe trug, die sich absolut nicht für einen dunklen, dichten Wald eigneten. Ein breites Band schnürte ihre Taille ein, auf ihrem Hinterteil saß eine Schleife.
Vielleicht hätte sie als Dreijährige Freude an einem solchen Kleid gehabt, danach nicht mehr.
Sie verabscheute schwache, leidende Maiden, die nur auf ihre Rettung warteten. Sie hasste es zutiefst, sich kraft- und hilflos zu fühlen.
»Okay, Layla, wach auf«, sagte sie laut zu sich selbst.
Sie musterte die Gegend, sah jedoch nichts als Bäume und Schatten. Die Bäume wirkten seltsam vertraut, als wären sie ihr Leben lang dagewesen, ohne dass sie zu sagen wusste, wieso. Zwischen den Stämmen stand, in einen Umhang gehüllt wie ein großer blasser Vampir, der Schmied aus dem Lagerhaus. Er musterte sie noch immer mit diesem leidenden ernsten Blick. Noch immer verschwand der Rest seiner Gestalt in den Schatten, doch sie ahnte, dass er einen traumhaften Körper besaß. Tagtäglich die schwere Arbeit am Feuer, das Beschlagen von Metall. Sehr hübsch.
Sie spürte ein starkes Verlangen, als neigte ein Teil von ihr sich ihm bereits entgegen, doch sie beherrschte sich. Sie vermisste das angenehm warme Gefühl ihres Bettes. Weder konnte sie sich an den Weg vom Lagerhaus zu ihrem Auto erinnern noch daran, dass sie von dort nach Hause gefahren war. Genau wie das Kleid fühlte sich auch der Traum wie eine Falle an. Sie hatte vor langer Zeit gelernt, ihrem Instinkt zu vertrauen.
»Aufwachen, aufwachen«, sang sie, während sie den Schmied musterte und den festen Druck in ihrem Becken ignorierte.
»Du erinnerst dich nicht.« Der Mann klang schmerzerfüllt.
Nein, erzähl es mir. »Woran?«
»An alles. Dein Leben als Kathleen.«
Schon wieder Kathleen. Dies war ein Albtraum. »Zum letzten Mal: Ich bin nicht Kathleen. Ich heiße Layla Mathews. Lay-la .« Sie bewegte überdeutlich die Lippen. Wie konnte sie einen Mann begehren, der noch nicht einmal ihren Namen kannte?
»Lay-la.« Als sie den rauen, verletzten Klang seiner Stimme hörte, fragte sie sich, wer diese Kathleen war. Ganz offensichtlich hatte sie ihm das Herz gebrochen.
»Hören Sie zu … «
»Nein.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe mich geirrt. Das ist nicht der richtige Weg.«
Na, endlich. Layla seufzte erleichtert.
»Wir müssen einfach noch einmal von vorne beginnen«, erklärte er, und sie versank in Dunkelheit.
Um sie zu wecken, tätschelte der Schattenmann Laylas Wange. Layla. Nicht Kathleen. Layla . Anders als bei dem Namen seiner Geliebten formte man die Silben mit der Zungenspitze. Wie konnte sie anders sein?
Er schloss die Augen und zog so viel Kraft wie möglich aus den irdischen Schatten. Die Arbeit an dem Tor hatte ihn geschwächt. Und dass er erneut menschliche Gestalt angenommen hatte, kostete ihn zusätzlich Kraft. Es war extrem anstrengend, diese Erscheinung über längere Zeit aufrechtzuerhalten.
»Nun, kommen Sie«, sagte er. »Wachen Sie auf.« Er hockte neben Laylas bewusstlosem Körper. Obwohl er wusste, dass sie sich dafür schämte, hatte er vorsichtig ihre Bluse über den weißen BH nach oben geschoben, so dass ihre Haut zum Vorschein kam. Er hätte die Kerle, die sie überfallen hatten, im Fluss versenken sollen, damit die Flussgeister an ihren Gliedern rissen und sie ertränkten. Zu schade, dass ihre Zeit noch nicht gekommen war.
Layla drehte den Kopf auf dem dreckigen Boden der Gasse.
»Sie sind in Ordnung«, sagte er, als er ihre Verwirrung spürte. Diese Frau verfügte über einen scharfen Verstand und starken Willen. Es gelang ihm nicht, die Erinnerung an das Höllentor und an Kathleens Märchen aus ihrem Gedächtnis zu löschen, doch er konnte Zweifel säen, ob diese Dinge wirklich geschehen waren. Sie würden ihr wie ein Traum erscheinen. Ließ sie sich auf diese Korrektur der Realität ein?
»Verdammt … «, stöhnte sie, öffnete die Lider und verzog das Gesicht.
»Sie sind fort«, erklärte er. Schon lange.
Mühsam schob sie sich
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