Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
es als Gräuel bezeichnen.«
»Und wie nennst du es?«
»Totalen Mist.«
Der Schattenmann griff den Hammer, das Werkzeug der Engel. Mit ihm konnte er das Tor schmieden. Ein paar spärliche Blumen bildeten die einzige Dekoration des Portals. Sie wirkten spitz und roh, von jener Sorte, die selbst in einem noch so rauen, finsteren Klima gediehen. Drei schmiedeeiserne Blütenblätter schlossen sich fest um das Herzstück. Sie symbolisierten seine verzweifelte Hoffnung, dass Kathleen dort unten überleben konnte und ihre Seele die schwarze Leere ertrug, bis er sie fand.
»Wirst du es ihnen verraten?«, fragte der Tod.
»Ich gehöre zum Orden«, entgegnete Custo. »Die Engel können meine Gedanken lesen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich es nicht vor ihnen verheimlichen. Aber das will ich auch nicht. Deine letzte unerlaubte Reise zwischen den Welten hat uns genug Ärger eingebracht. Noch immer quälen die Geister die Menschheit. Dort draußen herrscht Krieg. Riskier nicht noch mehr.«
Der Schattenmann blickte zum Tor.
Kat-a-kat-a-kat, erwiderte das Tor, seine Pfosten bebten. Seit er es zusammengebaut hatte, sprach es so mit ihm.
Er konnte es nicht abwarten, Kathleen aus der Hölle zu befreien. Ihr dortiger Aufenthalt ergab für ihn keinen Sinn. Ihre Verdammung schien weder sinnvoll noch gerecht. Er brach das Gesetz, und Kathleen litt in der Hölle. Es gab keine andere Möglichkeit, als sie zurückzuholen.
»Denk an die Folgen«, sagte Custo, das Grün verdrängte das Schwarz aus seinen Augen. Durch die Schatten spürte der Schattenmann seine Not. »Ich bitte dich.«
Der Schattenmann hielt den Griff des Hammers fest umklammert. Nicht mehr lange, bald war das Tor fertig. Die Schattenwesen existierten zwar im Hier und Jetzt, doch so weit konnte er in die Zukunft sehen.
Kat-a-kat-a-kat-a-kat.
Das Tor verlangte bereits danach, geöffnet zu werden.
»Was meinst du, welche Folgen ein Tor zur Hölle für die Welt der Sterblichen hat?« Custos glatte Haut glänzte in der Dunkelheit. Er war jetzt ein richtiger Engel und kämpfte erneut für die Menschen auf der Erde. »Wenn du dort hineingehen kannst, was kommt dann von dort zu uns?«
Nichts Gutes, so viel war klar.
Der Schattenmann antwortete mit einer Gegenfrage: »Und wenn es sich um Annabella handelte?«
Custo schwieg, holte tief Luft und dachte an die wunderschöne Ballerina, seine Frau. Er verzog gequält den Mund.
»Du leidest allein bei der Vorstellung, aber Kathleen ist tatsächlich dort. In diesem Moment.«
Custo schloss die Augen. »Es muss einen Grund geben … «
»Dafür, dass sie unendliches Leid und Verzweiflung erträgt?« Der Arm des Schattenmanns schmerzte unter dem Gewicht des Hammers. Sehnen und Muskeln litten, aber er hielt an seiner menschlichen Gestalt fest. Erst musste er das Tor vollenden. »Das würdest du ertragen, selbst wenn du Annabella retten könntest?«
»Oh, Gott. Und ich habe dir das Werkzeug dazu besorgt. Mist.« In Custos Schmerz mischten sich Selbstvorwürfe. » Ich bin dafür verantwortlich.«
»Dann steh dazu.«
Kat-a-kat-a-kat-a-kat.
Der Schattenmann wandte sich dem Tor zu. Custo tat es ihm gleich. Der Eingang wirkte überaus bedrohlich. Die Schatten schimmerten vor seinem teuflischen Werk, einem vom Tod geschmiedeten Tor zur Hölle.
Der Schattenmann spürte, dass Custo eine Entscheidung traf, seine Entschlossenheit überdeckte seine anderen Gefühle.
»Ich habe dich einst um einen Tag gebeten. Den gewähre ich dir jetzt auch«, erklärte Custo. »Ich schwöre, dann bringe ich die Engel mit, und wir zerstören das Tor. Egal, ob du, Kathleen, oder … oder Annabella sich dahinter befindet. Es ist falsch. Das ist für euch Schattenwesen offenbar schwer zu begreifen.«
Kat-a-kat-a-kat-a-kat.
Richtig? Falsch? Das interessierte den Schattenmann nicht. Solche Betrachtungen konnte sich der Tod von Natur aus nicht leisten.
»Ich bitte nicht um deine Erlaubnis, Junge.« Der Schmerz vom Festhalten des Hammers kroch in seine Schulter.
»Denk an meine Worte«, mahnte Custo und forderte die Schatten auf, aus dem Weg zu gehen. »Die Engel werden kommen.«
»Denk du an meine«, erwiderte der Tod. »Ich hole sie zurück.«
2
Ein Rascheln erregte Layla Mathews Aufmerksamkeit. Sie löste den Blick von dem riesigen, friedlich daliegenden Gebäude, in dem sich das Segue Institut befand, und musterte die Bäume zu ihrer Rechten. Geister . Mit angehaltenem Atem versuchte sie, ihren Herzschlag zu beruhigen, senkte die Kamera und
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