Zwielichtlande
in schleichende Dunkelheit auf, seine Schatten ließen sie allein.
Wenn er sie einschüchtern wollte, hatte er sich getäuscht. Es war wundervoll, allein zu sein. Allein konnte sie nachdenken und sich auf das vorbereiten, was auf sie zukam. Sie hoffte, dass er sie für immer in Ruhe ließ.
Sie blinzelte, und ein Festmahl stand vor ihr. Auf dem reich gedeckten Tisch fand sich jede nur denkbare Köstlichkeit.
Sie blinzelte noch einmal. Das Essen war immer noch da.
Das Festmahl entpuppte sich als wahres Sonntagsessen, es gab gegrilltes Fleisch mit Beilagen ebenso wie große Körbe voller perfekt gereifter Früchte – Orangen, Granatäpfel, dicke Weintrauben. Um sie herum standen köstliche mit Creme gefüllte Backwaren, die sie so gern mochte und sich wegen des Tanzens versagte. Napoleons, Eclairs und Käsekuchen. Verführerische, berauschende Gerüche.
Annabella lief das Wasser im Mund zusammen, ihr Magen knurrte, und sie war vollkommen erschöpft.
Die Auswahl sah so verdammt gut aus.
Aber sie stammte von ihm . Sie würde das Essen nicht anrühren. Irgendetwas daran war nicht richtig.
Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Die unsterblichen Feen brauchten vermutlich nichts zu essen, aber sie war ein Mensch. Sie würde sterben, wenn sie nichts zu sich nahm. Aber sie war noch nicht bereit, diese Grenze zu überschreiten. Die Eiszicke hatte offen gesagt, dass Annabella gefährlich war. Dass sie etwas anrichten konnte. Und die gruseligen Stimmen schienen ihr zuzustimmen.
Vielleicht gab es noch Hoffnung.
Wie sollte sie bei Kräften bleiben, wenn sie hungrig war? Wie konnte sie den Wolf bekämpfen, wenn ihr Blutzuckerspiegel sank? Ein niedriger Blutzucker machte sie immer reizbar und schwach. Wie konnte sie auf alles vorbereitet sein, wenn sie nicht aß? Sie musste etwas essen.
Annabella griff nach einem Stück Schokolade, aber die flüsternden Stimmen hielten sie zurück.
Leise, schüchterne und vielschichtige Stimmen.
– Persephone, Persephone, Persephone –
Sie ergaben keinen Sinn. Annabella steckte die Schokolade in den Mund. Das Stück schmolz auf ihrer Zunge und fühlte sich fantastisch an, wie Samt, es schmeckte dunkel wie die Sünde, wie Sex. Ihr gesamter Körper kribbelte. Wieso hatte sie ihr ganzes Leben lang getanzt, wenn sie stattdessen hätte essen können?
Die Stimmen wimmerten und wurden lauter, als wollten sie sie warnen.
– Persephone, Persephone, Persephone –
Annabella achtete nicht auf sie. Sagten sie womöglich »köstlich«?
Sie tauchte den Finger in ein Napoleon und leckte die Creme ab. Fabelhaft. Ihr Herz hämmerte und auf ihrer Haut breitete sich eine angenehme Kühle aus. Das Gefühl drang in ihre Venen ein, ihre Zellen sangen, ihr Blick verschwamm. Ja, Baby.
– Persephone –
Sie brauchte eine Gabel und einen Teller. Schon war beides da, das Besteck bestand aus schwerem Gold, der Teller trug einen goldenen Rand.
– verloren, verloren, verloren, verloren, verloren, verloren –
Annabella machte sich an die Arbeit. Das Festmahl war köstlich, dekadent. Und egal, wie viel sie aß, sie wurde nicht satt, noch ein Wunder, das sie dem Zauberessen verdankte. Sie arbeitete sich den Tisch hinunter und ließ sich schließlich – fast zufrieden , aber noch nicht ganz – auf den großen Sessel an dessen Ende fallen. Die kühle Luft auf ihrer Haut wurde noch kälter, ihre Kopfhaut kribbelte. Das viele Essen machte ihr den Kopf angenehm schwer, die Früchte schienen ihr immer noch süß und verlockend. Vielleicht noch ein letztes Stück …
Als sie nach dem vollen Korb griff, bemerkte sie dahinter eine Reihe Türen, die in einem weiten Rund angeordnet waren.
Was befand sich dort?
Sie vergaß die Früchte und stand auf, was für ihre vibrierenden Muskeln, Knochen und Nerven eine Herausforderung darstellte. Sie trat hinaus auf die Waldlichtung.
Aber sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand und warum sie dort war.
Sie befand sich in einem merkwürdigen Zustand. Schwerelos, als würde sie mit wehenden Röcken auf Luftströmen dahinschweben.
Es herrschte ewige Nacht. Zwischen den hohen Baumstämmen blitzten schwache Lichter auf. Sie wollte ihnen gerade folgen, als ihr Blick auf ein mit Blumen geschmücktes Grab fiel.
Wie traurig. Wem gehörte es?
Sie tippelte vorwärts, streifte die Grashalme und musterte den Grabstein.
Giselle . Das war ihr Grab.
Kummer wallte in Annabellas Herzen auf, und sie verschränkte die Arme über der Brust. Sie hatte Liebe und Leben verloren, war zur
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