Zwielichtlande
bitte dich nicht, dich für einen von uns zu entscheiden.«
Adams geflecktes Gesicht wurde bleich. »Wenn du ihr etwas antust … «
»… sperrst du mich für immer ein.«
Adam verzog das Gesicht und quälte sich mit der Entscheidung, aber Custo wusste, dass sie bereits gefallen war. Er spürte, wie sein Vertrauen deutlich wuchs.
»Komm schon. Schnell.« Adam drehte sich um, rannte aus der Tür und bog um die Ecke. Custo sprintete hinterher. Er stellte keine Fragen, während Adam über die Sicherheitstür fluchte, die sich nur langsam öffnete. Davor wartete ein Fahrzeug in Militärgrün, größer als ein Golfwagen, aber kleiner als ein normales Auto. Custo saß noch nicht richtig, da raste Adam bereits durch einen Betontunnel. Sie fuhren in einen Aufzug. Während die Mechanik sie langsam nach oben beförderte, bemerkte Custo, dass die Knöchel an Adams Fingern weiß vor Anspannung waren.
Custo versuchte, das Geschehene in Adams Gedanken zu lesen, aber sie wechselten zu schnell, um einzelne ausmachen zu können. Er spürte, dass sie in Annabellas Nähe kamen, was ein gewisser Trost war. »Was ist passiert?«
»Der Wolf.«
Jetzt wurde auch Custos Griff fester. »Er ist hier eingedrungen? Wie?«
Adam sah ihn nicht an, während er antwortete. Er hielt den Blick starr auf die Betonwand gerichtet, die beim Hinauffahren an ihnen vorbeiglitt. »Er hat die Gestalt eines meiner Soldaten angenommen. Der ist jetzt tot. Der Wolf ist geflohen, nachdem Talia ihren Schrei eingesetzt hat.«
Adam sprach mit ausdrucksloser Stimme, aber Custo ahnte, wie ihn das innerlich aufgewühlt hatte. Segue war angreifbar. All jene, für die sie verantwortlich waren – Talia, Annabella und alle anderen – schwebten in Gefahr. Wenn der Wolf die Gestalt wandeln konnte, konnte er vermutlich auch wie Adam oder Talia oder sogar wie er selbst aussehen, sodass sie noch mehr aneinander zweifeln würden, als ohnehin schon.
Custo suchte wieder nach Annabellas Geist und fing einen Gedanken von ihr auf – irgendetwas mit nach Hause gehen. Er bekam keinen Zugang zu ihren Gefühlen, aber er wusste, dass sie Angst hatte. Er musste einfach fragen. »Annabella?«
»Ist okay. Mutig.« Respekt wider Willen.
Mit einem Ruck hielt der Aufzug. »Talia?«
»Wird noch behandelt.«
Zwei Wachen flankierten den Eingang, an dem KRANKENSTATION geschrieben stand, und in jedem Türrahmen war ein weiterer finster aussehender Mann postiert. Breitbeinig und mit einem Gewehr vor der Brust schienen sie zu allem bereit.
Adam lief schnell, aber Custo registrierte dennoch einige Details. Für eine Zweigstelle von Segue war das Gebäude altmodisch, die Decken zu tief. Die Einbauten entsprachen nicht dem neuesten Stand, waren jedoch praktisch. Im Eingang befand sich ein Fleck an der Wand, wo einst eine runde Uhr gehangen hatte, und an der hinteren Wand ein rundes Waschbecken, das vermutlich aus den Sechzigern stammte. Es war eindeutig aus der Mode.
Custo folgte Adam den Gang hinunter, der vor einer offenen Tür mit der Nummer 15 stehen blieb. Talia lag etwas seitlich auf dem Rücken und war bis zur Taille mit einem Laken zugedeckt. Das Gesicht zwischen den weißgoldenen wilden Haaren kreidebleich. Custo kannte sie aus seinem letzten Leben – sie war ein hübsches blasses Wesen mit intelligenten Augen gewesen. Jetzt wirkte sie anders, oder vielleicht sah er sie mit anderen Augen. Ihre Blässe hatte einen seltsamen Schimmer, wie unter Schwarzlicht, wodurch ihre schräg stehenden Augen weniger wie exotische Menschenaugen, sondern deutlich jenseitig wirkten. Als er sie jetzt nach seiner Rückkehr sah, bestand kein Zweifel, dass sie eine Fee war.
Dr. Gillian Powell, ein langjähriges Mitglied im Team von Segue, zog einen bedruckten Papierstreifen aus einer Maschine links neben dem Bett. Sie arbeitete gut und gründlich. Zu Zeiten Jacobs hatte sie ihn mehr als einmal zusammengeflickt. Wenn Talia und die Babys zu retten waren, würde sie es schaffen.
Talia zuckte zusammen und drehte den Kopf zur Seite, als Custo hinter Adam durch die Tür trat.
»Stärkere Wehen?«, fragte Adam, während er zum Bett eilte und davor niederkniete, so dass er sich auf Augenhöhe mit Talia befand.
»Sie haben aufgehört. Ich dachte, ich hätte es unter Kontrolle, aber jetzt … « Gillian verstummte. Sie runzelte die Stirn und blickte zu einer anderen Maschine, während sie dachte Da stimmt etwas nicht. Neben rasch ansteigenden Werten schlug ein schnell blinkendes Herz, aber die Ärztin
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