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Zwielichtlande

Zwielichtlande

Titel: Zwielichtlande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Kellison
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wieder, diesmal mit einem sexy Knurren. Zuvor hatte sie das Geräusch geängstigt, jetzt erregte es sie; er kannte sie wie kein anderer Mann; er wusste, dass ihre Leidenschaften unendlich waren und nichts auf Erden sie befriedigen konnte.
    Sie gehörte in die Zwielichtlande, wollte ewig tanzen.
    Aber … Sie blickte in den Zuschauerraum – die Menschen schienen verzaubert, gebannt, es war, als hielten sie kollektiv den Atem an. Das Licht der Bühne fiel auf ihre Gesichter und brachte ihre Augen zum Leuchten.
    Nur noch eins … nur noch ein Augenblick hier …
    Annabella wollte ihren Applaus haben. Sie hatte hart genug dafür gearbeitet. Siebzehn Jahre lang hatte sie ihren Körper für das Ballett geschunden. Sie wollte sich mit dem Ensemble zusammen verbeugen und die vielen Vorhänge, die stehenden Ovationen und die Rosen in ihren Armen erleben. Sie wollte dabei sein, wenn diese Menschen aufstanden und »Bravo« riefen. Ganz gleich, ob man sie deshalb als Diva betrachtete. Wenn sie in das Schattenreich ging, war dies der einzige Zeitpunkt, an dem sie Anerkennung für ihre Arbeit ernten konnte.
    Das Orchester spielte die letzten Töne des Liebesliedes. Wenn Giselle in ihrem Grab verschwand, müsste Albrecht mitten auf der Bühne zusammenbrechen, aber Wolf blieb stehen und streckte Annabella seine Hand entgegen, um sie in einer seltsamen Umkehr der Geschichte in seine Welt zu ziehen.
    Sie würden glücklich bis in alle Ewigkeit im Schattenreich zusammenleben, aber Giselle war eine Tragödie.
    Und Annabella bestand auf ihrer Verbeugung.
    Komm, forderte er sie wütend ein weiteres Mal auf.
    So endet das Ballett nicht. Annabella ignorierte seine ausgestreckte Hand und stellte sich vor, dass das Publikum seine Geste als Ausdruck seiner letzten Hoffnung und Sehnsucht interpretierte.
    Der Vorhang fiel. Im Zuschauerraum herrschte Totenstille. Dann brach tosender Applaus und Jubel aus, einzelne Worte waren in dem Tumult nicht zu verstehen. Der Boden der Bühne vibrierte von den Rufen und ließ ihren Körper erbeben. Es war mehr als wunderbar und die Verzögerung allemal wert.
    Venroy schritt auf die Bühne, Tränen liefen über sein Gesicht. Er ergriff ihre Hände und sagte: »Großartig, Annabella! Jasper! Perfekt!«
    Unglaubliche Freude durchströmte Annabella, es war kaum auszuhalten. Der Thomas Venroy. Weinte. Ihretwegen.
    »Kind«, fuhr Venroy fort. »Eine Bravura -Vorstellung. Du hast all meine Erwartungen übertrof…«
    »Komm her!«, schnappte Wolf und zerrte Annabella an ihrem Ellbogen fort.
    Venroy stutzte und schluckte seine überbordenden Gefühle hinunter, als hätte man ihn geohrfeigt.
    Annabella blickte Wolf finster an. Das war nicht nötig. Und außerdem wollte sie unbedingt hören, was Venroy zu sagen hatte.
    »Natürlich«, sagte Venroy etwas gefasster. »Dafür ist später noch Zeit. Es gibt so viel zu tun, zu organisieren … « Er schlich davon und bedeutete den Wilis, auf der Bühne einen Halbkreis zu bilden.
    »Ich will mich noch verbeugen«, sagte Annabella stur zu Wolf.
    Es hatte sie Jahre voller Willenskraft gekostet, an diesen Punkt zu gelangen; sie würde nicht einfach so darauf verzichten.
    Wolf blickte sie finster an und knurrte unzufrieden, trat aber vor und ergriff ihre Hand. Fest.
    Der Vorhang hob sich. Das Publikum tobte vor Begeisterung.
    Annabella schüttelte Wolfs Hand ab und neigte sich in eine Grande Révérence. Auf diese Art bedankte sich eine Primaballerina bei ihrem Publikum. Jede Ballettklasse, an der sie jemals teilgenommen hatte, hatte mit einer Grande Révérence geendet. So war es Sitte. Aber, wie für ein Ensemblemitglied üblich, hatte sie nach allen Vorstellungen bislang immer nur einen einfachen Knicks machen dürfen. Das war nun vorbei. Sie verneigte sich tief vor dem Publikum.
    Der Applaus toste als stürmischer Wind durch die Zwielichtlande. Sie spürte, wie er über ihre Haut strich und sie zum Strahlen brachte. Das Beste aus beiden Welten.
    Sie richtete sich auf und verneigte sich noch einmal zur anderen Seite. Wie oft hatte sie von diesem Augenblick geträumt? Unzählige Male. Sie hatte vor allen möglichen Spiegeln geübt – im Studio, in der Umkleide, im Badezimmer, im Kaufhaus, sogar im Spiegelkabinett auf dem Jahrmarkt. Danke, vielen Dank … und euch dort drüben, euch danke ich auch. Und wie könnte ich die auf den Balkonen vergessen? Danke schön. Das war noch viel schöner, als sie es sich je vorgestellt hatte. Sie könnte sich daran gewöhnen.
    Sie blickte

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