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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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zu begutachten. Billy – das heißt eigentlich fühlte er sich trotz des vertrauten Ortes heute doch nicht wie Billy – ging mit unbewegter Miene zur Theke. Zurzeit bediente nur einer der beiden jungen Barkeeper.
    Billy bestellte einen Kaffee. Als die Bedienung mit der Tasse zurückkehrte, fragte Billy mit betont beiläufiger Stimme: „War Carlos in den letzten Tagen hier?“
    Die Reaktion des jungen Mannes überraschte Billy. Beinahe hätte der Barkeeper die Tasse fallen gelassen. Kaffee schwappte über den Rand und bildete auf dem polierten Holz eine Lache. Der Mann sah Billy erschrocken an und legte eine Hand an die Lippen.
    „Das macht doch nichts“, sagte Billy und wartete darauf, dass der Barkeeper den Kaffee mit seinem Geschirrtuch, das in seiner Gesäßtasche klemmte, aufwischte.
    „Du weißt es also noch gar nicht?“ Die Augen des Mannes schimmerten feucht.
    „Was?“, fragte Billy und ihm überkam plötzlich ein Gefühl der Beklemmung.
    Die Bedienung holte eine Tageszeitung hinter dem Tresen hervor. Mit einem manikürten Fingernagel tippte der junge Mann auf ein Foto auf der Titelseite. Das Foto zeigte einen lächelnden Carlos. Es schien vor einigen Jahren aufgenommen worden zu sein, denn das Gesicht wirkte schmaler als heute. Billy las:

    MANN MIT 49 MESSERSTICHEN ERMORDET .

    Er hockte in seinem Wagen und zitterte. Er zitterte so stark, dass an ein Starten des Motors überhaupt nicht zu denken war. Im Club hatte er den Zeitungsartikel zweimal gelesen und war dann wortlos hinausgestürzt.
    Vermutlich würde er nie mehr Billy sein können.
    Carlos, der eigentlich Dietmar Hebbel hieß, war bereits am Mittwochmorgen in unmittelbarer Nähe des Dresdener Hauptbahnhofs gefunden worden. Abwehrverletzungen – tiefe Schnitte an Händen und Armen – zeigten, dass er versucht hatte sich gegen den Angreifer zu wehren. Ohne Erfolg. Der Täter hatte neunundvierzig Mal zugestochen – sein Opfer förmlich durchlöchert – und zusätzlich noch Dietmar Hebbels Kehle und die Bauchaorta durchtrennt. Die Leiche war völlig ausgeblutet. Außerdem fehlte der Daumen der rechten Hand. Man ging davon aus, dass der Mörder ihn an sich genommen hatte.
    Der Mann, der nicht länger Billy war, würgte, bis er glaubte, ersticken zu müssen.
    Was sollte er tun? Es schien verlockend, einfach davonzufahren. In ein anderes Land. Aber wer würde sich dann um seine Mutter kümmern?
    Warum hatte ihn Carlos an jenem Abend im Club mit dem Fremden alleingelassen? Und warum wurde er nur wenige Stunden später auf so bestialische Weise umgebracht?
    In Gedanken ging er den Sonntagabend im Club noch einmal durch: Carlos hatte einem Fremden erlaubt, die Züchtigung fortzusetzen. Der Unbekannte hatte sich über alle Regeln hinweggesetzt und ihn sogar bewusstlos geschlagen, um dann zu verschwinden. Zuvor hatte er allerdings noch die Fesseln gelöst, so dass sich Billy wenig später – er war nur Minuten bewusstlos gewesen – irritiert und wütend im Club auf die Suche nach dem Schläger gemacht hatte. Aber niemand hatte bemerkt, dass ihnen jemand in das Hinterzimmer gefolgt war. Der Laden war zu diesem Zeitpunkt voller Gäste gewesen. Die meisten berauscht von Alkohol, Drogen und Geilheit. Carlos war verschwunden. Billy hatte die Lust auf weitere Exzesse verloren und war nach Hause gefahren.
    Um fünf Uhr in der Frühe – er war gerade in einen unruhigen Schlaf gefallen – läutete dann das Telefon zum ersten Mal.
    Während er sich mit Schaudern an dieses erste Gespräch erinnerte, schrillte das Handy auf der Mittelkonsole.
    Er erstarrte und fühlte sich, als sei er in Eiswasser geworfen worden.
    „Bitte“, wimmerte er.
    Das Display zeigte: Nummer unbekannt.

    Richard erwachte gerade noch rechtzeitig, um zu spüren, dass er ins Bett urinierte. Er sprang auf und betrachtete erschrocken den Fleck auf dem Laken.
    Es war halb sechs und es war ihm dank Buschs Pillen gelungen immerhin fast drei Stunden zu schlafen. Aber offensichtlich besaß das Mittel eine gravierende Nebenwirkung.
    Die durchnässte Schlafanzughose klebte an seinem Unterleib. Er ekelte sich. Richard stieg aus dem Bett. Er verlagerte sein Gewicht auf den rechten Fuß. Sofort verspürte er einen heftigen Schmerz. Zischend stieß er den Atem aus und betastete vorsichtig seinen Fuß. Er fühlte zuerst eine warme Flüssigkeit: Blut. Und dann etwas Hartes und Scharfes. So scharf, dass es ihn sofort in die tastenden Finger schnitt.
    In der Fußsohle steckte eine dunkelgrüne

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