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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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bei der neunten Seite angelangt, als das Telefon klingelte. Das Geräusch erschrak ihn so sehr, dass er mit der rechten Hand die halbvolle Tasse vom Schreibtisch fegte. Sie landete mit einem hohlen Geräusch auf dem Boden. Hellbrauner Milchkaffee schwappte aufs Parkett.
    Das Telefon läutete fünfmal, ehe Richard in der Lage war, es in die Hand zu nehmen.
    „Gerling“, hauchte er atemlos ins schnurlose Telefon.
    „Für mich immer noch Kenning“, tönte eine Männerstimme in sein Ohr.
    Der Satz durchfuhr ihn wie ein Faustschlag in den Magen. Er erzielte auch beinahe dieselbe Wirkung: Sein Magen krampfte sich zu einem bleiernen Ball zusammen, während er glaubte, sich übergeben zu müssen. Der süße Geschmack der Gummibärchen ließ ihn jetzt würgen. Er presste das Telefon noch immer an sein Ohr und der Verstand ging panisch die Liste jener durch, die von seiner alten Identität und seinem Exil wussten.
    „Richard?“, hörte er die Stimme erneut. „Der Witz kam wohl nicht so gut an, was?“
    Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schlecht der Witz ankam, dachte Richard. Er hatte die Stimme erkannt. Sie gehörte zu Klaus Sänger, seinem Verleger, der gleichzeitig Mitglied im winzigen Kreis der Eingeweihten war.
    „Hallo, Klaus! Wie läuft`s in den alten Bundesländern?“ Richard versuchte ganz normal zu klingen, doch mit diesem kläglichen Versuch kam er bei seinem Verleger nicht durch. Sie kannten sich schon seit über zehn Jahren. Sänger hatte viel Geduld bewiesen und seinen Autor auch dann nicht zum Teufel gejagt, als die ersten Romane nur äußerst mäßigen Verkaufserfolg erzielten.
    „Alles in Ordnung bei dir? Du hörst dich nicht gut an.“
    Richard glaubte den Mann vor sich zu sehen, wie er mit skeptisch gerunzelter Stirn an seinem mit Manuskripten junger Nachwuchsautoren überladenen Schreibtisch saß und auf Antwort wartete. Auf eine Antwort, die ihm zeigte, dass sein immer noch erfolgreichster Schreiber in der Lage war, einen würdigen Nachfolger seines Reisenden zu Stande zu bringen.
    Klaus Sänger war damals im Krankenhaus aufgetaucht und nachdem ihm Richard alles erzählt hatte, vor allem, dass er nicht wusste, warum er Halsband und Lederslip trug, war es sein Verleger gewesen, der ihm geraten hatte, keine Anzeige gegen unbekannt zu stellen. Das würde nur zusätzlichen Wirbel machen und vor allem den Staatsanwalt auf den Plan rufen.
    Kurz hatte Richard sogar in Betracht gezogen, dass sein Verleger alles angezettelt haben könnte. Vielleicht, um durch einen Skandal das Interesse an seinem Autor zu verstärken und so die Verkaufszahlen in die Höhe zu treiben.
    Aber Richard hatte den Gedanken wieder verworfen. Klaus Sänger galt zwar als ein wenig exaltiert, aber so etwas hätte er einem seiner Autoren niemals angetan.
    „Ich arbeite gerade am Roman“, sagte Richard.
    „Oh!“, machte Sänger. „Dann machst du also gute Fortschritte.“ Eine Feststellung, keine Frage.
    „Es geht voran“, antwortete Richard ausweichend. Er wusste, dass es klug gewesen wäre, nach einem Jahr nachzulegen, aber diese Frist war längst überschritten.
    „Wann bekomme ich etwas zu lesen?“ Sänger klang freundlich und doch spürte Richard den deutlichen Unterton eines Vorwurfs.
    Richard dachte an die wenigen Seiten, die er bisher getippt hatte und sagte: „Du weißt, dass ich niemanden hineinschauen lasse, ehe ich ein Buch beendet habe.“
    „Mmm...“, machte Sänger und eine kurze Pause entstand, in der Richard nach vernünftig klingenden Ausflüchten suchte.
    „Verstehe mich bitte nicht falsch“, fuhr der Verleger fort. „Liest sich der Roman, als wäre der Autor in Ordnung? Ich meine ... in guter Verfassung.“
    Richard war darüber bestürzt, dass man offenbar anhand seiner Stimme auf seinen Zustand schließen konnte. Ohne ihm gegenüber zu sitzen. Er mimte den Beleidigten. „Was soll das heißen! Nach der Sache in Unna war doch eine kleine Auszeit mehr als legitim, oder? Wie gesagt: Ich schreibe in diesem Moment an dem Roman.“
    „Schön“, sagte Sänger, aber es hörte sich nicht so an, als wäre er mit Richards Reaktion zufrieden. „Aber wenn du Hilfe benötigst – egal welcher Art – dann gib mir bitte Bescheid.“
    Einen Moment lang war Richard versucht, seinem langjährigen Verleger alles zu erzählen; einen Hilferuf ins Telefon zu schreien. Aber er sagte nur: „Danke für das Angebot.“
    Richard hörte, wie am anderen Ende der Leitung ein Feuerzeug klickte. Sänger war einer der

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